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Robert Rutman

© Sergej Horowitz

Nachruf auf Robert Rutman: Ein Realist

Musik müsste man machen! Und wenn man kein Instrument beherrscht, erfindet man einfach eins, dessen erster Instrumentalist man ist.

Von David Ensikat

Eine Woche nach Bob Rutmans Tod trafen sich etwa zwei Dutzend seiner alten Freunde aus Amerika in einem Video-Call und erinnerten sich an ihn. Von ihm habe sie gelernt, sagte eine, dass es wirklich gut sei, Künstler zu sein.

Wenn man die Freunde reden hört, das Treffen findet sich als Film im Internet, wenn man spätere, deutsche Freunde von ihm fragt, kann man tatsächlich zu dem Schluss kommen: Robert Rutman war ein Beweis, dass man für die Kunst und von der Kunst leben kann, und dass das, auch wenn es mühsam ist und selten gut bezahlt, eine gute Wahl sein mag. Wenn etwa das Talent zum Familienleben nicht besonders ausgeprägt ist. Man muss die Sache allerdings mit einer gewissen Konsequenz angehen.

Obgleich diverse Auskünfte, die er über seine Herkunft gab, unzuverlässig erscheinen, darf man davon ausgehen, dass seine Bindung zu den Eltern wenig ausgeprägt war. Vom Vater erzählte er, der sei ein Nazi gewesen und 1933 oder 1934 ums Leben gekommen. Die Mutter war Jüdin und musste ihren Sohn längere Zeit in andere Obhut geben, bevor sie mit ihm über Polen nach England floh. Mal erzählte er, sie habe Marlene Dietrich kennen gelernt, dann, dass sie auch Heinrich Himmler kannte. Wichtiger vielleicht die Bemerkung, dass sie, die Mutter, ihrem Sohn verschiedentlich zu verstehen gab, dass er eine Bürde sei. Dass sie ihn besser hätte abtreiben sollen. In England schickte sie ihn auf ein Internat. Warum er schließlich nach dem Krieg nach Amerika ging, bleibt unklar, an irgendeiner Stelle sagte er, er sei vor der Mutter geflohen. Dass er bis zum Schluss ein Bild von ihr an seiner Wand behielt, ist wohl mehr der Ausweis einer Sehnsucht als Beleg für eine liebevolle Beziehung.

Die Szene war Familie

Als US-Soldat kam er 1951 für ein Jahr nach Deutschland. Wo er sich keine höheren Ränge erdiente, aber, zurück in den USA, ein Army-Stipendium an einer Kunstschule! Er war dann kurz in Mexiko, wo er eine Schriftstellerin heiratete, einen Sohn zeugte, Erik, und beide kurz darauf wieder verließ. In New York befreiten sie in den frühen 60ern die Kunst. Die Szene war Familie, wer Kunst machte oder laut genug darüber sprach, gehörte dazu. Wer eine Galerie betrieb, sowieso. Robert, der seit seiner Amiwerdung nur noch Bob hieß, nannte seine: „A Fly Can’t Bird But A Bird Can Fly“. Er malte auch selbst, nicht allzu wild, dafür seriell, ein Motiv, ein Stuhl, oder eine Frau auf einem Stuhl, sehr oft, um mit jedem Bild ein wenig besser zu werden.

Denn Bob Rutman war ein Künstler von ausgesprochen realistischem Charakter. Er wusste, was er konnte und was nicht. Und er sah, wie mühsam das Geschäft mit der bildenden Kunst war. Machen wir uns nichts vor: Die allermeisten Bilder dieser Welt bleiben am Ende unverkauft. Die Galerie ging pleite, das Leben wurde teurer, also zog Bob aufs Land, in ein Kaff in Maine, im amerikanischen Nordwesten. Dorthin lockte er andere Aussteiger und überlegte, wie man das mit der Kunst effizienter angehen könnte.

Musik! Da muss man nicht ewig warten, bis jemand was kauft. Man kann einfach Eintritt verlangen. Schwierig nur, wenn man kein Instrument beherrscht. Da wäre es doch, so dachte sich der Realist, angebracht, ein ganz und gar neues Instrument zu bauen, dessen erster und daher unangefochten bester Intrumentalist man wäre. Bob hatte sich bereits an Stahlskulpturen versucht. Nun spannte er an ein riesiges Stahlsegel eine Seite, die er mit einem Bogen in Schwingung versetzte, die Resonanz im Bügel war phänomenal, der Klang markerschütternd tief und lang. Meditativ, fernöstlich irgendwie, und das passte neben der experimentellen Attitüde nun auch in die Hippiezeit. Das Instrument nannte er „Steel Cello“, erfand ein weiteres mit mehreren schwingenden Stahlstangen an einem horizontalen Stahlbogen, das „Bow Chimes“, und gründete das „U.S. Steel Cello Ensemble“. Mit dem trat er in Galerien auf, an Universitäten und überall dort, wo die Avantgarde mehr galt als die Melodie. Er holte sich, auch das ein wesentliches Talent des Realisten, oft Mitstreiter dazu, die herkömmliche Instrumente, Trommeln etwa, tatsächlich beherrschten. So wurde der Lärm seiner Stahlkonstruktionen – er sprach stets von „noise“ – bekömmlicher, strukturierter.

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Avantgardist bleibt man nicht einfach so über Jahre, es sei denn, man entwickelt seine Kunstform weiter. Oder man wechselt den Kontinent. 1989 zog Bob Rutman in die Stadt seiner Geburt, Berlin. Und erlebte, wie die Stadt, vor allem im Bezirk Mitte, in den er zog, zu einem Experimentierfeld wurde. Das Leben war billig, die Kunst frei, Menschen wie er, ausgestattet mit dem Willen und der Fähigkeit, sich zu exponieren, einer entschiedenen Beharrlichkeit und dem Flair des Exotischen, waren hoch willkommen. Manchmal brachte er auch wieder ein paar Bilder in Galerien unter; entscheidender aber waren die Auftritte mit seinen archaischen Instrumenten an den unterschiedlichsten Orten. Natürlich blieb das Geld knapp, aber er bezog in den letzten Jahren eine Art Opferrente, da er einst mit seiner Mutter hatte fliehen müssen.

Eine Frau hatte er nicht an seiner Seite, doch das Talent, Menschen um sich zu scharen, um der Kunst willen, behielt er bis zum Schluss. Cafébesitzer schätzten sich glücklich, den Exoten frei zu halten, so abgerissen er auch rumlief. Hey, das ist Bob, der Avantgardist aus den Staaten! Ein Freund erinnert sich bei dem Videotreffen der Amerikaner, wie er ihn mal besucht hat in Berlin, wie sie durchs Scheunenviertel liefen und immerzu irgendjemand ihn begrüßte: Hallo Bob! Schließlich kam eine Frau auf ihn zu und umarmte ihn lang und innig. Bob ließ das gerne zu und hatte, wie er hinterher dem Freund gestand, keine Ahnung, wer die Frau war.

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