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Thomas Koch (1952 - 2014)

© Catarsistudio

Nachruf auf Thomas Koch (Geb. 1952): Fischer in der Großstadt

"Cabane du pêcheur" hieß seine Kneipe. Sie bestand aus zwei Containern, die er aufstellen konnte, wo immer er wollte. Die Gäste sind ihm gefolgt.

Fischerhütten sind klein. Sie liegen meist am Wasser, und ihre Ausstattung kommt aus ohne viel Brimborium. Auch diese „Cabane du pêcheur“ ist nicht groß, aber sie liegt inmitten der Stadt, am Humboldthafen und ist ein Bistro. Sie besteht aus zwei Containern, aneinandergestellt, schmucklos, praktisch.

Und der Fischer? Er besitzt nicht viel, nur eben diese Hütte, und ist doch froh. Denn er ist frei. Er kann die Hütte nehmen und sich einen anderen Ort für sie suchen, jederzeit, wenn er will, wenn er muss. Er kann auf sein Fahrrad steigen und weiterziehen, mit seinen Cowboystiefeln und seiner Lederjacke, die er trägt, seit er 20 ist, seinem verwaschenen „Libération“-Shirt und der dunkelblauen Marinemütze auf dem Kopf. Seine grauen Haare wehen dann im Wind und er denkt an Neil Young: Old man look at my life/ I’m a lot like you were.

Sein Leben lang ist Thomas umhergezogen: Von Niedersachsen, wo er zur Welt kam, nach Köln, Stadt seiner Kindheit und Jugend, weiter nach Amsterdam, mit 16, als die Kinder der Bürger sich die Haare lang wachsen ließen. Er kehrte zurück nach Köln, schaffte sein Abitur doch noch, begann zu studieren, hörte auf zu studieren, ging nach Rabat, nach Paris, wieder nach Köln, nach Berlin.

Rabat ist eine Erlösung, eine Erlösung von den Zwängen, von dem halbherzigen Herumprobieren. Die Sonne über Marokko scheint nicht dieselbe wie über Deutschland zu sein. Thomas läuft zum Atlantik, entlang der Ufer des Bou-Regreg, durch die Altstadt, die Basare. Er spricht französisch. Er riecht Safran, gemahlenen Ingwer, Koriander und Kreuzkümmel. Er isst Couscous und Merguez. Er merkt sich jeden Geruch, jeden Geschmack.

In Paris festigt sich sein Französisch. Er arbeitet bei einer Appartementvermittlung. Er hilft bei der Organisation eines der ersten Techno-Festivals und von Werbefilmnächten, Spektakeln, während denen das Publikum pfeift und mitsingt und Papierflugzeuge durch die Luft segeln lässt. Er bekommt zwei Söhne, geboren in der französischen Hauptstadt, das ist ihm wichtig. Er entdeckt das französische Chanson, auch wenn er den Rock ’n’ Roll liebt, den Blues, die Stones und Marianne Faithfull, die Allman Brothers und Johnny Cash. Die abgegriffene Rede vom savoir-vivre verliert für ihn, in dieser Stadt, ihre Banalität.

„Wenn ich in Paris bin, denke ich an dich“, schreibt eine Freundin nach seinem Tod. Und: „Wenn ich in Köln bin, denke ich an dich.“

Thomas ist zurück in Deutschland. Er versucht es in der Gastronomie, serviert Weißwein mit Austern in einem Feinkostladen. Und zieht weiter: „Wenn ich in Berlin bin, denke ich an dich.“ Er bekommt einen dritten Sohn, geboren in der deutschen Hauptstadt, am französischen Nationalfeiertag, das ist ihm wichtig. Er arbeitet als Chef de salle in der „Ständigen Vertretung“ am Schiffbauerdamm, im „Piccolo“ in der Reinhardtstraße, im „Monsieur Toche“ in der Albrechtstraße. Aber er wäre gern unabhängiger, möchte sein Ding machen. Jetzt, denkt er, wann, wenn nicht jetzt.

Als er mit seiner „Cabane du pêcheur“ vom Humboldthafen in die Jungfernheide zieht, maulen die Freunde ein bisschen. „So weit draußen, Tommie“, sagen sie und kommen dann doch, alle. Er zieht weiter, in die Herzbergstraße nach Lichtenberg. Die Freunde zweifeln: „Lichtenberg?“ Doch hätte er seine Fischerhütte auch in Honolulu aufstellen können, sie wären zu ihm gefahren.

Denn alles, was Thomas gesehen, gerochen, geschmeckt, gelebt hat, verdichtet sich an diesem Ort. In den metallenen Tresen sind Glaskugeln eingelassen, die das Licht reflektieren. Nichts ist glatt, clean. Die Tische und Stühle sind gebraucht. Die Maler, Musiker und Bildhauer der umliegenden Ateliers bestellen das Catering für ihre Ausstellungseröffnungen und Konzerte bei ihm. Während die Künstler und Kunstinteressierten Couscous und Merguez, Orangensalat mit Minze, Bratwurst mit Brötchen bei ihm essen, zeigt er Videos von Stones-Konzerten. Die Leute reden über Politik, über Kunst, über dies und das, die halbe Nacht hindurch.

Er ist ausgebucht auf Wochen. Hier würde er bleiben, vielleicht länger dieses Mal. „Es ist meine beste Zeit“, sagt Thomas. Zeit, die ihm die Ärzte 2007 nicht geben. „Krebs“, sagen sie. Und: „Drei Monate.“ Doch er lebt noch nach diesen drei Monaten, nach einem Jahr, nach zwei Jahren, nach sieben. Er hat es geschafft. Er ist ein Überlebender. Wie manche seiner Helden. Die Stones werden im Juni tatsächlich noch einmal in der Waldbühne spielen. Aber vorher fährt er nach Wien, am 15. Mai, zu einem Kraftwerk-Konzert. Es ist großartig. Am 16. Mai, wieder in Berlin, steht Thomas am Morgen auf, setzt sich auf sein Fahrrad, fährt von seiner Wohnung in der Bergstraße zum Bistro in Lichtenberg, fährt wieder nach Hause, liest E-Mails, antwortet, erzählt Freunden von der Wien-Reise, vom Konzert. Um zwölf Uhr nachts bleibt sein Herz stehen.

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