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Agenda-Architekten: Gerhard Schröder im Gespräch mit Wolfgang Clement und Franz Müüntefering

© imago images/Hoffmann

Nachruf auf Wolfgang Clement: Vom Superminister zum Sozialdemokraten ohne Parteibuch

Der frühere NRW-Regierungschef und Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement ist tot. Über einen, der anpackte und aneckte – vor allem in seiner eigenen Partei

Mitte Juli ging es Wolfgang Clement schon sehr schlecht. Er war wenige Tage nach seinem 80. Geburtstag mit seiner Frau in Heidelberg und sagte, er sei ziemlich lädiert. Schwer gezeichnet von einer Krebserkrankung. Er freute sich aber, dass ihn Gäste aus Nordrhein-Westfalen im Hotel sofort erkannten und ihm ihre Wertschätzung entgegenbrachten.

Von 1998 bis 2002 regierte Clement als Ministerpräsident das größte Bundesland, bevor er als Superminister für Wirtschaft und Arbeit zu einem Architekten der Agenda-2010-Arbeitsmarktreformen von Gerhard Schröder in Berlin wurde.

In der Nacht zu Sonntag ist er im Kreise seiner Familie in Bonn friedlich eingeschlafen. Er war immer auch ein Familienmensch, Clement und seine Frau versuchten so viel Zeit wie es ging, mit ihren fünf Töchtern und den 13 Enkeln zu verbringen. Clement war Teil jener Sozialdemokraten, der für das kleiner gewordene sozialliberale Lager stand, der aneckte, gerade in seiner Partei.

Geradlinig, auch ein streitbarer Sturkopf, der aber einen klaren Kompass hatte und für seine Überzeugungen kämpfte, dazu gehörte auch eine Industrie- und Energiepolitik mit Augenmaß, zu viel Ideologie war ihm zuwider.

Als er indirekt davor warnte, bei der Hessen-Wahl 2008 die linke SPD-Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti zu wählen, kam es zu einem erbitterten Streit um einen Parteiausschluss, die Bundesschiedskommission beließ es bei einer Rüge. Clement fand die unangemessen und trat nach 38 Jahren aus der SPD aus, weil er sich in seiner Meinungsfreiheit eingeschränkt sah.

Immer auch ein Familienmensch: Wolfgang Clement 2016 mit Ehefrau Karin.
Immer auch ein Familienmensch: Wolfgang Clement 2016 mit Ehefrau Karin.

© imago images/Reichwein

Er unterstützte später die FDP, blieb aber immer Sozialdemokrat ohne Parteibuch. Als er danach ein Buch schrieb, und seiner Partei einen Linksrutsch vorwarf (der sich bis heute weiter verstärkt hat) und sich mit dem damaligen Parteichef Franz Müntefering überwarf, spottete der damalige Generalsekretär und heutige Bundesarbeitsminister Hubertus Heil: „Deutschland ist ein freies Land. Jeder kann Bücher schreiben - es ist ja auch bald wieder Buchmesse“.

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Vielleicht sind es gerade diese Querdenker, die heute der SPD fehlen, Clement wurde wegen seiner Tätigkeit als RWE-Aufsichtsrat als Lobbyist der Atomwirtschaft gegeißelt; die SPD ging und geht nicht immer pfleglich mit ihren Leuten um, egal welche Verdienste sie hatten.

Ein Sozialdemokrat, der Clement vor seinem Tod nochmal still und leise besucht hat, war Ex-Chef Sigmar Gabriel. Der betont, egal ob in der SPD oder draußen: mit Wolfgang Clement sei ein großer Sozialdemokrat gestorben, der viel für die Menschen in NRW und die Republik getan habe. "Zupackend, humorvoll, dickköpfig und sensibel zugleich. Und ein Kämpfer bis zum Schluss. Mach’s gut, mein Freund."

Sohn eines Maurers aus Bochum

Clement wurde am 7. Juli 1940 in Bochum als Sohn eines Maurers geboren. Er volontierte nach dem Abitur bei der „Westfälischen Rundschau“, studierte dann Jura und wurde später Politikchef und stellvertretender Chefredakteur der „Westfälischen Rundschau“, von 1986 bis 1989 arbeitete er für die „Hamburger Morgenpost". Dazwischen war er von 1981 bis 1986 auf Vermittlung von Hans-Jürgen Wischnewski bereits Sprecher der Bundes-SPD und konnte die Kämpfe zwischen Kanzler Helmut Schmidt, SPD-Chef Willy Brandt und Fraktionschef Herbert Wehner aus nächster Nähe miterleben.

Clement war früh ein strategischer Kopf. Bevor er den Job antrat, holte er sich Rat beim NRW-Ministerpräsidenten Johannes Rau. "Der Johannes Rau sagte zu mir: "Sie müssen aus kürzesten Sätzen, Randbemerkungen, geradezu aus ihrer Körpersprache verstehen lernen, worum es jeweils geht", sagte Clement Ende Juni rückblickend der dpa.

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Enge Weggefährten und beide Ministerpräsidenten: Johannes Rau und Wolfgang Clement
Enge Weggefährten und beide Ministerpräsidenten: Johannes Rau und Wolfgang Clement

© imago images/teutopress

Rau holt ihn nach Düsseldorf

1989 holte Rau dann Clement nach Düsseldorf, machte ihn zum Chef der Staatskanzlei. Erst 1998 konnte der "Kronprinz" das Amt des Regierungschefs selbst übernehmen, Clement hatte damals den Strukturwandel und den Abschied von der Kohle im Ruhrgebiet zu managen. Vieles blieb Stückwerk, ihm war es ein wichtiges Anliegen, NRW als er Medien- und Telekommunikationsstandort zu stärken

Mitarchitekt der Agenda

2002 dann ereilte ihn der Ruf von Gerhard Schröder aus Berlin. Hier konnte er richtig gestalten - und die Trauerbekundungen zu seinem Tod aus fast allen politischen Lagern zeigen: das Umsetzen der Arbeitsmarktreformen Hartz I bis Hartz IV in konkrete Politik sind auch sein Lebenswerk und sein bleibendes Verdienst.

Doch die Einschnitte im Sozialbereich, die zum jahrzehntelangen Trauma der SPD wurden, beförderten die Entfremdung von seiner Partei. Doch Unternehmen und Bürgern bescherten die Agenda-Reformen letztlich Boomjahre.

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Wolfgang Clement, auf dem Bundesparteitag der SPD 2003 zur Agenda 2010.
Wolfgang Clement, auf dem Bundesparteitag der SPD 2003 zur Agenda 2010.

© imago images/IPON

Merkel: Große und bleibende Verdienste

"Wolfgang Clement hat viel dazu beigetragen, notwendigen wirtschaftlichen Strukturwandel und die Belange der arbeitenden Menschen miteinander in Einklang zu bringen", betont Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu seinem Tode. Clement habe Deutschland "große und bleibende Dienste" erwiesen. Die Sozialreformen der Agenda 2010 hätten den Weg aus der hohen Arbeitslosigkeit gewiesen.

Bundespräsident Frank Walter Steinmeier, als damaliger Chef des Kanzleramts ein enger Weggefährte des Wirtschafts- und Arbeitsministers Clement, betont in seinem Kondolenzschreiben an seine Ehefrau: "Mit eigenständigen und zuweilen unbequemen Standpunkten vertrat Wolfgang Clement konsequent das Reformziel, Deutschland zukunftsfähig zu machen.

Bis zuletzt war Ihr Mann ein Kämpfer für die soziale Marktwirtschaft. Die Prinzipien von Freiheit und Verantwortung, Eigentum und Wettbewerb, Haftung und sozialem Ausgleich hat er immer wieder eingefordert." Sehr persönlich äußerte sich Clements heutiger Nachfolger als NRW-Ministerpräsident, Armin Laschet (CDU): "Persönlich verliere ich einen liebenswerten Menschen, der immer für Rat zur Verfügung stand." Er werde ihm und dem Land sehr fehlen.

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