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Nachruf: Manfred Peter Ziemann (Geb. 1943)

Er spielte die Gitarre genau wie seine Vorbilder. Er war mal Polizist.

Von David Ensikat

Die Wohnung eines Rock ‘n‘ Roll-Gitarristen. Im Regal steht eine kleine dicke Polizistenfigur in wilhelminischer Uniform, über die Pickelhaube ist ein Tschako gestülpt, jenem nachempfunden, das die Berliner Polizisten noch in den sechziger Jahren trugen. Auf dem Sockel der Figur steht: „Zum 50ten. Deine VoB“. VoB für Vorgangsbearbeitung. So nennt sich die Polizeiabteilung, wo Manfred Peter Ziemann in den letzten Jahren seines Berufslebens Verkehrsdelikte bearbeitete. Unter dem Polizisten stehen sieben Verbrennungsmotoren im Regal, sehr sauber, 0,75 Kubikzentimeter der kleinste. Die Antriebswellen weisen allesamt in exakt dieselbe Richtung. Weiter unten steht ein großes Feuerwehrmodellboot, präzise dem Original nachempfunden, fernsteuerbar bis in die Wasserspritzen. An der Wand hängen untereinander vier Schallplattencover von den „Shadows“, britische Instrumentalband aus den sechziger Jahren, größter Hit „Apache“, hallende Gitarrenmusik, die nach einsamen Männern, gehorsamen Pferden und trockener Prärie klingt. Das Stück hat er auf seiner E-Gitarre, einer Fender Jaguar, oft nachgespielt, so dicht am Original wie möglich.

Manfred Peter Ziemann war bestimmt ein guter Polizist gewesen. Denn Polizisten sind dafür da, dass die Dinge in Ordnung bleiben, dass der Staat in seinem Originalzustand verharrt. Für die zuweilen notwendige Veränderung sind andere zuständig.

Als Rock ’n’ Roll-Gitarrist soll er auch gut gewesen sein, vor allem bei den langsamen Stücken mit der hallenden Sologitarre. Sagt Jürgen Hellmann, ein ebenfalls längst pensionierter Polizist, der in den sechziger Jahren mit Ziemann in einer Polizistenband gespielt hat und vor ein paar Jahren die Leute von früher wieder zusammengerufen hat. In seinem Musikkeller haben sie seither die Lieder von damals geübt, immer donnerstags. Vorgespielt haben sie sie noch niemandem, das wollen sie erst tun, wenn sie wirklich wie die Originale klingen.

Über den Bandnamen denken sie gerade nach; sie könnten sich, sagt Hellmann, „The Originals“ nennen. Damals, in der Kaserne, war das einfacher. Die Band entstand auf Befehl, für die Weihnachtsfeier brauchte man Musik, und selbstverständlich wur- de auch der Name auf höherer Ebene beschlossen: „Rythmusgruppe der 2. Abteilung“. Sie spielten „Let’s twist again“.

Dass Manfred Peter Ziemann überhaupt bei der Polizei gelandet war, hatte neben den üblichen Gründen, sicheres Einkommen, Pensionsanspruch, auch mit der Musik zu tun. Er hatte eine Lehre zum Automechaniker gemacht und dabei erfahren, dass man sich am Auto die Hände so dreckig macht, wie sich das für einen Gitarrespieler nicht gehört. Der Dienst bei der West-Berliner Bereitschaftspolizei war zwar auch nicht unbedingt als musisch zu bezeichnen, Armeedrill, Wache stehen am Reichstag und am Brandenburger Tor – eine Art Gegengrenztruppe –, Demonstrationseinsätze. Aber immerhin gab es die Rhythmusgruppe. Und die Polizeischauen. Dafür wurde wochenlang trainiert – was mühsam war, aber besser als Wachestehen. Ziemann blies im Spielmannszug die kleine Flöte. Seine Frau erinnert sich noch gut an die Paraden im Olympiastadion: „Furchtbar war das. Stundenlang!“ Dass sie es sich ansah, verstand sich dennoch von selbst.

Ebenso verstand es sich von selbst, dass Manfred Peter Ziemann seinen Polizistendienst unter allen Umständen verrichtete, ohne Zaudern, ohne Diskussion. Als es bei einer Studentendemonstration am Springer-Hochhaus 1968 auf einmal hieß: „Waffe in die Hand!“, bekam er zwar einen Schreck, aber so lautete nunmal der Befehl. Und als ein Stein geflogen kam und ihn am Kopf traf, wusste er erst recht, dass das hier ernst war, und auf welcher Seite er stand. Das wusste er so genau, dass er über diese Dinge zu Hause kaum ein Wort verlor.

Er war gerne Polizist, der Beruf entsprach seinem Anspruch an die Welt: Geordnet sollte sie sein, sauber, wohl geregelt. Als er pensioniert wurde, mit 60, entsprach auch das einer Vorgabe, einer Regel. Also war es gut. Die Uniform abzulegen, fiel ihm überhaupt nicht schwer. Er hatte seinen Garten in Ordnung zu halten, er näherte sich mit der Gitarre dem Originalklang der Shadows, er bastelte an seinen Modellen, maßstabsgenau.

Manfred Peter Ziemann starb einen unerwarteten, schnellen Tod. In der Pensionärsband muss jetzt ein anderer die langsamen Gitarrensoli spielen, so unverfälscht wie möglich.

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