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Eingefrorenes Lächeln. Morgens um vier am Rosenthaler Platz. Von der Kälte lassen sich Partygänger nicht die Feierlaune verderben.

© Paul Zinken

Nachtleben: Mit Berlins Nachtschwärmern durch die Eiszeit

Kalt erwischt. Auch bei frostigen Temperaturen bevölkern sie die Straßen Berlins: Die Schichtarbeiter, Rotlichtdamen und Feierwütigen. Ein unterkühlter Streifzug zwischen Mitternacht und sechs Uhr früh.

Stella rückt sich den weißen Minirock zurecht. „Winternächte sind scheiße“, verkündet sie und spuckt ihren Kaugummi auf den Bürgersteig.14 Grad minus zeigt das Thermometer, es ist Donnerstag, kurz nach Mitternacht. Sie könne hier ja schlecht im Schneeanzug stehen, was soll sie machen? Die Lichter der Oranienburger Straße schimmern in den Schaufenstern, über ihr glänzt die Kuppel der Synagoge.

Lena, die von der anderen Seite herübergetippelt ist – auch sie mit Schneeboots, Korsett und reichlich Schminke – nuckelt an einem Strohhalm. „Warme Liebe“, kichert sie und hält den Becher mit dem heißen Tee hoch. „So halten wir uns warm.“ Außerdem trage sie fünf Paar Thermoleggings und die dicksten Wollsocken, die man kaufen kann. Ob sie bei so einer Eiszeit früher nach Hause gehe? „Nö, irgendwoher muss das Geld ja kommen.“ Ihr Atem und der Tee dampfen um die Wette, sie wirft die schwarze Mähne mit den blonden Strähnen zurück.

„Bleibt doch mal stehen.“ Stella und Lena haben sich einer Gruppe von drei Männern in den Weg gestellt. Die kommen aus Schweden und sind auf Geschäftsreise. Sie zeigen sich interessiert an den Damen, doch dann kneifen sie. „It is just a joke“, versichert einer der drei schuldbewusst. Sein Kumpel scheint das vergessen zu haben. Zufrieden grinsend nimmt er die beiden Frauen in den Arm „It is warm in my apartment“, haucht Lena ihm ins Ohr. Schließlich steigt der Schwede doch ins Taxi und verschwindet. „Ach, die sind besoffen und frieren.“ Lena zuckt mit den Achseln und tut so, als wäre damit alles gesagt. Bis 6 Uhr morgens wollen die beiden durchhalten.

„Einen Kaffee und ’ne Curry ohne Darm, bitte.“ Philip Simon lehnt an der Theke vom „Curry 36“ am Mehringdamm in Kreuzberg und hat die Wollmütze tief ins Gesicht gezogen. Der Hunger hat ihn noch einmal in die Kälte getrieben, dabei muss er schon wieder aufstehen, wenn Stella und Lena nach Hause gehen. Jetzt nippt er an seinem Kaffee und schimpft in die Nacht hinein. „Mich nervt es, dass sich alle über die Kälte beklagen.“ Letzte Woche sei er aus dem Krankenhaus entlassen worden. Blinddarmdurchbruch. Nun schmeckt nichts so gut wie die kalte Berliner Winterluft. „Kein Desinfektionsmittel“, schmatzt er mit Currywurst im Mund. Hinter ihm flimmern die grellen Lichter der Wurstbude, die Fritteusen brodeln. Früher wollte er einmal Stuntman werden, erzählt er, heute ist er 34 Jahre und arbeitet bei einem Steuerberater. Das Gute ist, dass man bei der Kälte nicht solange, auf die Wurst warten muss, die sei hier nämlich die beste, sagt er und blickt über die Schulter, als erwarte er Zustimmung. Doch es ist kaum jemand da, nicht viel los beim Kultimbiss.

Schnell ins Warme. Der Nachtbus kommt. Temperaturen von bis zu 15 Grad minus erhöhen die Freude auf die BVG erheblich. Lange bleibt bei dieser Witterung kaum jemand freiwillig draußen.
Schnell ins Warme. Der Nachtbus kommt. Temperaturen von bis zu 15 Grad minus erhöhen die Freude auf die BVG erheblich. Lange bleibt bei dieser Witterung kaum jemand freiwillig draußen.

© dpa

„Je weniger Menschen nachts auf der Straße sind, desto weniger gibt es zu tun“, sagt ein hochgeschossener Wachtmeister der Bundespolizei. Natürlich liege das am Wetter, und von Dienst wegen gefällt ihm das ganz gut. Er steht im grauen Vorzimmer der Polizeistation am Hauptbahnhof. Von hier aus kann er direkt in den gläsernen Bauch des Gebäudes blicken, das um drei Uhr nachts an ein eisiges leeres Aquarium erinnert. Seinen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen, die Vorgesetzten würden das nicht so gerne sehen. „Ich bin ja auch nicht bei Facebook, das ist eine Einstellungsfrage“, sagt er und lacht. Im Moment müssten er und seine Kollegen oft schlafende Leute aufsammeln und sie dann zur benachbarten Bahnhofsmission bringen. Manche Obdachlose gehen dort nämlich nicht allein hin, weil sie Angst haben, beklaut zu werden.

Im Haus der Stadtmission in der Lehrter Straße, nur wenige Meter vom Hauptbahnhof entfernt, übernachten diejenigen, die schon lange kein eigenes Bett mehr haben. Die Uhr zeigt mittlerweile halb vier und keine Menschenseele ist zu sehen, obwohl alle Zimmer belegt sind. Die Tür zum hell beleuchteten Eingangsbereich bleibt dennoch die Nacht über offen – für den Fall, dass hier jemand Wärme sucht. Nur das Rauschen der Heizkörper ist zu hören, blaue Plastiktüten voll mit Schuhen, Gesellschaftsspielen und Wolldecken stehen herum. „Spenden Sie Wärme – Senden Sie eine SMS an…“, steht auf einem Plakat. Daneben hat man einen blauen Berliner Buddy Bären geparkt. Eine wohlige Abstellkammer. Selbst die Bahnhofsmission ist in dieser Dienstagnacht im Winterschlaf.

Am Rosenthaler Platz ist auch um diese Zeit noch was los. „Burki ist im Kitty Chang“, versucht Christina ihren Freund Michael umzustimmen. Sie kommen gerade aus der Tür der Strandbar Mitte und wollten eigentlich nach Hause ins Bett. Von drinnen dröhnen Elektrobeats. Es gibt sie also doch noch, Berliner, die tanzen, trotz frostiger Nacht. Ob ihnen kalt ist, wenn Sie in die Kälte kommen? „Nee, der Alkohol dringt ja in jede Pore“, meint der 23-Jährige und drückt seine Freundin an sich. 15 Grad minus ist es jetzt.

Es ist kurz vor sechs. Vor dem Spätkauf gegenüber haben sich Okan und Abdül eine Zigarette angesteckt. Abdül erzählt, dass er auf der Straße eine Frau gesehen habe, die kaum etwas anhatte und aus einer Flasche Wodka getrunken hat. Dann sei sie von der Polizei weggebracht worden. Okan ist beeindruckt. „Mann, hoffentlich kommt der Frühling bald“, sagt er und schaut auf den eisigen Rosenthaler Platz. Die Zigarette ist aufgeraucht. Schnell wieder rein. Ins Warme.

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