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Sperlingsgasse

© Ullstein/Sticha

Nachtleben: "Sperlingsgasse" auf dem Trockenen

Im alten West-Berlin war die "Sperlingsgasse" als Touristenmagnet über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Heute ist die Kneipen- und Geschäftspassage verwaist.

Einst zog es hier abends Tausende hin, aber für die alten West-Berliner "Adressen" an der Lietzenburger Straße ist die Zeit vorbei. Gerade wird der Loretta-Biergarten plattgemacht, und gegenüber verstaubt die einst so bekannte "Sperlingsgasse". Jene schmale Kneipen- und Geschäftspassage, einst über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Aber noch immer fragen Touristen danach, und auch viele Berliner glauben, dass es die Passage noch gibt. "Sperlingsgasse" steht auf einem Reklameschild, das "13 Läden, alles unter 1 Dach" verspricht, dazu Harmonie, Gemütlichkeit und gute Laune. Gehalten aber wird davon nichts.

Der Vorgarten an der Lietzenburger Straße ist verwildert, der Eingang verrammelt, ein Blick durch trübe Fenster zeigt verstaubte Tresen, verblichene Schnapsreklame. Es sieht aus wie in einem verlassenen Westernsaloon. An der Hinterhofwand steht der Hinweis "Biereinwurf". Die wilden Zeiten dieser Kneipenstraße, die oft unzutreffend mit dem später gebauten Kudamm-Karree in Verbindung gebracht wird, sind Geschichte.

Im Dezember 1968 war die Sperlingsgasse, nach Wilhelm Raabes "Chronik der Sperlingsgasse" benannt, in einem Neubau errichtet worden. Sie sollte idyllische Bierseligkeit vermitteln, vor allem eine Touristenattraktion sein. Die falsche Sperlingsgasse (die historische steht in Mitte) hatte stets den Beigeschmack von Rummel und ein wenig Nepp, von Touristenfalle. Es gab hier auch kleine Modegeschäfte, ein Reisebüro, eine Weinstube und ein Café.

Vielen Einheimischen, die es hierhin verschlug, blieb die Gasse fremd. Anwohner sagen, die Sperlingsgasse sei schon seit mindestens fünf Jahren tot, aber der letzte Mieter,eine Pizzeria, zog erst Ende letztes Jahres aus. Als Erinnerung an die große Zeit der Sperlingsgasse blieb der Taxistand vorm Haus. Er bedient heute vor allem das anliegende Apart-Hotel, das hier seit acht Jahren eingerichtet ist und die Gasse als Anbau geerbt hat. Vermutlich, heißt es im Hotel, werde das Anhängsel umgebaut – nicht zur Passage, sondern zum größeren Frühstücksraum.

"Mit dem Mauerfall ging alles bergab"

Es gibt Berliner und Touristen, die glauben, zur Sperlingsgasse gehöre die ganze hintere Kneipenlandschaft des Kudamm-Karrees, das letzte Ende – vom Kurfürstendamm aus gesehen. Auch hier gab und gibt es Passagen voller Kneipen, die beispielsweise Bei Manne, Bei Jutta, Tresen oder auch Leopard 1 heißen. Aber viele davon sind leer. Einige Lokale halten tapfer durch, schon am frühen Nachmittag sind etwa der Karree-Treff und das größere Bistro 2000 recht gut besucht, es gibt Stammgäste wie Margitta Puder oder Hans-Jürgen Schormann, die auf die Atmosphäre der kleinen Lokale nichts kommen lassen. Sie erinnern sich natürlich an die Gasse nebenan, an die Politiker und Schauspieler, die immer wieder hier und dort vorbeisahen, und an Touristengruppen, die aus Westdeutschland herbeigeflogen waren, nur um in der Sperlingsgasse bis früh um fünf "durchzumachen". Davon profitierten auch die Wirte des Karrees.

Aber damals kamen ohnehin viel mehr Leute vom Ku’damm durch die Passage bis hinten an die Lietzenburger Straße. "Früher war hier halb Wilmersdorf", erinnert sich Schormann. "Mit dem Mauerfall ging alles bergab", schimpft Margitta Puder, die ihrem Lokal im Ku’damm-Karee treu bleibt und dafür aus Steglitz anreist. "Vor Jahren standen die Leute in Dreierreihen, jedes Lokal war voll", sagt sie. Und so war es auch an der Sperlingsgasse, die nur ein paar Meter entfernt zum Abstellraum degradiert ist.

Doch das Ku’damm-Karree ist von Leerstand und ständiger Verkaufs- und Umbaudiskussion gezeichnet, es fehlt die Laufkundschaft Richtung Lietzenburger Straße, die abrissbedrohten Kudamm-Bühnen halten den Gebäudekomplex immerhin im Gespräch. Freitags und sonnabends ist noch einiges los am hinteren Kneipenende, wie zu Zeiten der alten Sperlingsgasse, das geht bis vier Uhr früh. Aber nahe Diskotheken hätten dichtgemacht, es fehlten Anreize für junge Leute, heißt es in den Kneipen, die Älteren hielten aber die Treue, bei angenehm kühlem Klima, Fußball-TV und Happy-Hour-Preisen. Sie fühlten sich auch sicher hier, videoüberwacht.

In letzter Zeit kommen wieder Leute mit strengen Gesichtern vorbei und fotografieren das Haus, was in den Kneipen als Indiz dafür gewertet wird, dass im Gebäudekomplex Käufer unterwegs sind. Die Gäste sehen das gelassen. Ein neues Konzept, ein Umbau scheinen nicht aktuell, "und so lange bleiben wir hier und trinken unser preiswertes Bier".

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