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Berlin: Nachts beim spanischen Meister

An den letzten Tagenhatdie Goya-Ausstellung bis drei Uhr morgens geöffnet.Trotzdem mussman warten

Es ist herbstlich kalt, um Mitternacht auf der Museumsinsel. Die Besucherschlange vor der Alten Nationalgalerie hat das Winterkleid angelegt: Die Menschen tragen Wollstolas, dicke Jacken und Ledermäntel. Die Kälte kriecht die Beine hoch, manchem hilft es, von einem Fuß auf den anderen zu treten. Hände umschlingen Pappbecher. Zehn Kilo Kaffeepulver werden in dieser Nacht von Freitag auf Sonnabend in der kleinen Bude vor der Alten Nationalgalerie aufgebrüht. Alle warten auf Goya. Die Menschen in der Schlange machen sich gegenseitig Mut: Sie rechnen, wie lange das Anstehen noch dauern wird, und erzählen, wie schön es drinnen sein soll. Im Moment muss man drei Stunden warten, um „Goya – Prophet der Moderne“ zu sehen. Das geht noch, vormittags waren es noch sieben Stunden.

Warm, hell und weit wirkt das Foyer des Museums. Roter Teppichboden begrüßt den, der es bis zum Einlass geschafft hat. Der Aufseher nickt freundlich. Drei Tage vor Torschluss, und doch ist die Stimmung gelassen, sobald man die Wartezeit überstanden hat. Kaum mehr als drei Leute stehen gleichzeitig vor den großen Gemälden wie dem Mädchen mit dem Sonnenschirm. Die entspannte Atmosphäre vermittelt einem das Gefühl, dass man unendlich viel Zeit habe, sich auf die Bilder einzulassen, und auch genug Platz. Mit den Tuschezeichnungen in den kleinen Räumen ist man manchmal sogar ganz für sich allein. Klitzekleine Gesichter, kaum größer als eine Münze, hat der spanische Meister gezeichnet, und sofort springt deren Stimmung dem Betrachter entgegen: Grämend, selbstherrisch, feixend, selten lieblich.

„Sie sehen heitere Teppichentwürfe, meisterhafte Porträts und düstere Visionen“, sagt eine Stimme. Die kann man für drei Euro buchen, es ist ein Audioführer. Unterlegt von spanischer Zupfgitarren-Musik, lenkt der Sprecher mit der vollen, starken Stimme den Betrachter auf wesentliche Details: eine versteckte Visitenkarte Goyas, eine Signatur auf einer Armlehne. Vor dem Bild mit den Blindekuhspielern hört man, dass dies ein Wandteppich sei. Ein Teppich? Man tritt drei Schritte vor, und ja, jetzt erst sind die feinen Fäden aus Wolle zu erkennen.

Der Mann mit dem Tuch über dem Kopf, den man als Poster von Litfaßsäulen überall in der Stadt sehen kann, der ist in Realität ein ziemlich kleiner Wicht: „Der Flug der Hexen“ hat im Original etwa DIN A3-Format. Das Bild mit dem Harlekin, der von den Mädchen hochgeworfen wird, das lässt Silvia Ahmed nicht los. Die 67-Jährige aus Schöneberg pendelt zwischen einer Skizze mit ähnlichem Motiv und dem Gemälde hin und her. „Die Stierkämpfe sind ja einfach, aber das hier finde ich schwer verständlich“, sagt sie. Berliner sind diese Nacht hier, die „es vorher nicht geschafft haben“, die Ausstellung zu besuchen; und viele Wochenendreisende. Wie der Frankfurter Hartmut Pohlmann, der um 1 Uhr 20 seinen ersten Goya sieht. Müde sei er aber nicht: Wenn er so etwas Tolles mache, sei er sofort wieder wach, sagt er.

Eine Blase, das ist die Ausstellung um zwei Uhr nachts. Die Zeit scheint zu stehen. Eine Frau mit Pagenschnitt sitzt müde auf einer Bank, während eine andere mit grell geschminktem Mund verzückt im Katalog blättert, und gleichzeitig die Audioführung per Kopfhörer laufen lässt. Eine Familie steht staunend vor den Zeichnungen.“Fast wie ein Comic“, sagt ein vielleicht zehnjähriger Junge. Müde streicht eine ältere Frau in Fleecepulli ihre Haare aus dem Gesicht. Norwegerstrick und Cordhosen, Anzug und edle Wollstola – jedem, wie es beliebt, zu dieser Zeit. Nachtbesuche im Museum sind entspannte Besuche.

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