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Berlin: Nackt im Gotteshaus

Die Malerin Antoinette hat Berliner porträtiert – prominente und unbekannte, bekleidete und entblößte. Dass Akte in der Nikolaikirche gezeigt werden, gefällt nicht jedem

Gruftimädchen, Schwule, Politiker, Rentner, Künstler und Drogensüchtige, eine Heimleiterin für geistig Behinderte, ein in Ost-Berlin eingesetzter Kontaktbereichsbeamter aus dem Westteil, eine Gräfin mit vier Kindern: Eine illustre Gesellschaft lädt ein, sie in der Nikolaikirche in Mitte zu beäugen. Die Malerin Antoinette hat die 100 Menschen dort versammelt – in Porträts. „Berliner Sittengemälde“ hat sie ihre Ausstellung genannt.

Ihren künstlerischen Einstand gibt die gebürtige Dresdnerin damit in Berlin – vor knapp drei Jahren ist sie mit ihrem Mann und Kollegen Johannes Heisig aus der Elbmetropole an die Spree gezogen. Ohne Auftrag oder Sponsoren begann sie in ihrem Kreuzberger Atelier, einen Querschnitt der Berliner Bevölkerung zu malen. Solche, die hier „was zu sagen haben“, und solche, die einfach nur so dahinleben, manche am Rande der Existenz.

Ein „ästhetisches Fest“ will Antoinette mit ihrem Sittengemälde geben – die es mitgefeiert haben, bewiesen Mut und Vertrauen in sich und die Malerin. Ging sie doch künstlerisch niemand schmeichelnd um den Bart. Weder der sich herb im grauen Hosenanzug darstellenden Friede Springer, noch dem nachdenklich seine Pfeife rauchenden Egon Bahr. Nicht dem Ehepaar Momper und nicht „Mary“ alias Georg Preuße, der seinen Betrachtern eine nackte Schulter und seine zwei Gesichter zeigt. Berlin hat nichts zu lachen, man sieht es den Porträtierten an. Durchweg ernst blickt die großformatige Gesellschaft ihre Besucher an. Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer scheint schwer an der Last der Welt zu tragen, Hilmar Thate blickt zweifelnd. Der „Schriftsteller und Offizier a.D.“– so die Bildbeschreibung zu Markus Wolf – verrät auch im Porträt nichts. Und Walter Momper kennt man aus dem wahren Leben freundlicher.

Nicht wenige leben durch Antoinette ihre Lust aus, einmal anders sein zu dürfen. Die bis auf ihre schwarzen Strümpfe nackte Hotelfachfrau ebenso wie andere mehr oder minder offenherzige Berliner. „Wunderbar“, „anregend, verstörend, toll“ finden die einen das „ästhetische Fest“, andere nennen es „abstoßend, geschmacklos“. „Dass in der ältesten Kirche Berlins so etwas gezeigt wird. Wir sind hier in der Kirche, nicht im Puff!“ Einer ließ offen, was er meint und schrieb ins Ausstellungsbuch: „Möge Gott diese Stadt schützen.“

Berliner Sittengemälde: Nikolaikirche, bis 31.August, tgl. außer Montag, 10 bis 18 Uhr.

Heidemarie Mazuhn

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