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Körperkult. Ein Mann zeigt auf dem Tempelhofer Feld, was er außer zwei Hunden noch so zu bieten hat.

© dpa

Nacktheit im öffentlichen Raum: 1, 2, 3 – Oberkörper bitte nicht frei!

Mit der Hitze drängt auch die Inszenierung der Leiber in den öffentlichen Raum. Besonders unangenehm: Männer, die einfach so „oben ohne“ rumlaufen. Sie nehmen sich jedes Geheimnis – und belästigen dezentere Naturen.

Er trug eine Jeans und Turnschuhe und vom Gürtel an aufwärts nichts. Kein Haar auf der Brust, kein Tattoo, gebräunt, die Brustwarzen klein und hart – es windete gerade im U-Bahn-Schacht. Da stieg er ein und fuhr wer weiß wohin. Halb nackt, der junge Mann. Einen Tag später sah ich den nächsten, am Fußgängerüberweg, dann wieder einen, auf dem Rad. Sein T-Shirt hing, zusammengerollt, lässig durch eine Gürtelschlaufe gezogen, am Bein herab.

Kalendarisch, lernt man in der Schule, beginnt der Sommer am 21. Juni. Wirklich da aber, lernt man in Berlin, ist er erst, wenn die Jungs ihr Hemd ausziehen. Es ist so weit.

Man kann, finde ich, nackt sein, wenn man gegen das Tragen von Pelzen protestieren will oder, wie die Frauengruppe „Femen“, für die Rechte von Frauen. Dieses Nacktsein in Fußgängerzonen und vor Regierungsgebäuden leuchtet mir ein, es taugt zur Provokation. Es zählt weniger die Brust als die Botschaft. Oben ohne bringt Aufmerksamkeit. Aber dieser Kerl in der U-Bahn, der neben mir sitzt wie auf einer Bettkante, in Shorts und Flipflops, der liest. Der guckt nicht, ob jemand guckt, der schwitzt nur stumm vor sich hin und riecht nach Paul oder Thomas oder wie er auch heißen mag, was ich vielleicht wissen wollen könnte, säße er in meiner Küche. Aber das tut er ja nicht! Mir ist diese Nacktheit zu viel, zu nah, ich möchte das nicht!

Was ist es nur mit den Männern und dem Sommer, das sie sich vergessen lässt? Sich und ihre ungepflegten Fußnägel, die bleichen Beine in den kurzen Hosen und eben die Plauze, die sie schamlos jedem präsentieren, der sie nicht sehen möchte. Lange dachte ich, es liege an mir, aufgewachsen in einer Familie der Langhosenträger. Großvater, Vater, beide Brüder, mein Freund beendeten das Tragen kurzer Hosen mit dem Eintritt in die Pubertät. Zugegeben, sie tragen Sandalen (ohne Socken!) und Flipflops, aber eben auch immer ein Hemd. Vielleicht hat es sich mir deswegen eingebrannt: Nackte Männerbeine und vor allem -bäuche gehören ins Schwimmbad oder ans Meer, nicht auf die Straße.

Wenn ein nackter Oberkörper nicht privat ist, was denn dann?

Körperkult. Ein Mann zeigt auf dem Tempelhofer Feld, was er außer zwei Hunden noch so zu bieten hat.
Körperkult. Ein Mann zeigt auf dem Tempelhofer Feld, was er außer zwei Hunden noch so zu bieten hat.

© dpa

Selbstverständlich bin ich auch kulturell konditioniert – weshalb ich unter anderem mit weiblicher Nacktheit an Bein und Fuß ein deutlich kleineres Problem habe. Ich habe das alles ausdiskutiert mit dem revolutionären Stimmchen in mir, das sagte: Stell dir vor, wir liefen alle nackt, wozu die Klamotten, die anerzogene Scham, unter dem Pflaster liegt der Strand! Doch was ich sah, war keine Freiheit, sondern kiloweise fremdes Fleisch.

Wenn ein nackter Oberkörper nicht mehr privat ist, mit all seinen Narben und Pickeln, was ist es denn dann? Stadtmänner ohne Hemd sind wie Menschen, die Geheimnisse weitererzählen, die man nicht wissen will. Ich habe nichts gegen nackte Männer, jedenfalls nicht generell. Aber wen ich mir ansehe, möchte ich bitte selbst entscheiden.

Das große weite Internet, das Antworten auf so viele Fragen kennt, weiß auf diese keine: Warum spaziert man durch eine Großstadt, als wäre es das eigene Badezimmer? „Stolz“, schreibt irgendwo einer. Und natürlich, es könnte Narzissmus sein. Aber stolz worauf, frage ich mich bei zu vielen, als dass ich diese Antwort gelten lassen könnte. Und überhaupt: Aus Stolz dürfen sie das nicht mal mehr auf dem Fußballplatz – und wo kann der Mann schon Mann sein, wenn nicht da. Die Fifa gestattet Torjubel ohne Trikot längst nicht mehr. Die BVG hat sich zu all dem bislang nicht geäußert. Eine Nachfrage ergibt: Mein Problem ist dort gar nicht als solches erkannt!

„Kleider machen Leute“ heißt das Sprichwort, und wenn ich das auch nicht ganz unterschreiben mag, so stimmt zumindest, dass uns die Kleidung etwas über den Menschen, der sie trägt, verrät. Was es doch erst spannend macht, weil schließlich zu überprüfen bleibt, ob der Anzugträger tatsächlich ein kluger Anwalt ist und ein Punk auch mit Sicherheit revolutionär.

Mit einem nackten Oberkörper ist alles und noch mehr gesagt. Wer ihn inmitten der Stadt zur Schau stellt, nimmt sich jedes Geheimnis – und bedrängt jene, die an so viel Fleisch kein Interesse haben. Also bitte, Jungs, zieht euch was an! Ich habe nichts gegen nackte Männer, jedenfalls nicht generell. Aber wen ich ansehe, möchte ich selbst entscheiden.

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