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Berlin: Nächtliche Jagd auf heiße Quellen

Wenn es eiskalt ist und die Luft klar, sucht Vattenfall mit Bildern aus der Luft nach Lecks im Berliner Fernwärmenetz.

In einer der kommenden Nächte wird es wieder laut in Berlin – so wie zuletzt in jener bitterkalten Februarnacht 2011, als ein Kleinflugzeug in 1000 Meter Höhe immer wieder die Innenstadt überquerte. Diesmal soll es seine Bahnen über dem Märkischen Viertel ziehen und dann den Süden der Stadt zwischen Zehlendorf und Köpenick abfliegen: auf der Suche nach Lecks im Fernwärmenetz. Der genaue Termin entscheidet sich erst kurz vor dem Start. Aber er wird wohl in dieser Woche liegen – es könnte sogar schon in der Nacht von Montag auf Dienstag so weit gewesen sein.

Seit etwa 15 Jahren lässt Vattenfall in jedem Winter rund ein Drittel des etwa 1700 Kilometer langen Leitungsnetzes im Berliner Untergrund absuchen. Im vergangenen Winter war der mittlere Stadtbereich an der Reihe. Eiskalte Luft und klare Sicht bedeuten ideales Flugwetter. Denn selbst dort, wo das mehr als 100 Grad heiße Wasser erst in geringen Mengen aus den Rohren sickert, hinterlässt es eine deutliche Spur auf den Infrarotbildern, die der „Aero Commander“ aufnimmt. Auf einer Karte in der Vattenfall-Zentrale in der Puschkinallee schimmern blau die Bereiche der Stadt, die so kalt sind wie die Winternacht. Grün signalisiert leicht erhöhte Temperaturen, rot und gelb deuten auf Wärmeinseln hin: Höfe im Schutz von Hauswänden. Das Spreewasser, die Abgasfahne des Heizkraftwerks Mitte, die Gullydeckel auf den Kanälen der Berliner Wasserbetriebe, die Motorhauben kürzlich abgestellter Autos. Und, ganz vereinzelt, aber umso deutlicher: heißes Wasser im Boden. Seine enorm hohe Temperatur lässt die Stelle im Infrarotbild auffällig grell leuchten – selbst wenn über der Quelle eine noch intakte Asphaltschicht liegt.

Frank-Holger Kämpf, Leiter des Wärmevertriebs bei Vattenfall, zeigt einen hellgelben Fleck in der Würzburger Straße in der City-West. Die Farbe steht für eine im Vergleich zur Umgebung um mindestens 16 Grad erhöhte Temperatur. Im Sommer wurde das Rohr freigelegt, das im Winter fotografiert worden war. Diagnose: Ein Verbindungsstück, das das innen liegende Heißwasserrohr in der äußeren Ummantelung hält, hatte sich ins Innere des Rohres gebohrt. Ohne das Kamerabild wäre der Schaden wohl erst durch einen größeren Rohrbruch bemerkt worden. Dadurch wäre vielleicht mitten im Winter die Heizung der Häuser ringsum ausgefallen. Und Vattenfall hätte nicht nur den Ärger der Kunden abbekommen, sondern bei Frost eilig eine Großbaustelle aufmachen müssen, um die von der Nässe bereits korrodierten Rohre zu erneuern. Angesichts dieser Alternative lohnten sich die aufwendigen Luftbilder allemal, sagt Kämpf.

Heiko Mekelburg, zuständig für das Fernwärmenetz der östlichen Bezirke, zeigt ein noch deutlicheres Beispiel aus dem vorletzten Winter. Auf dem Bild ist ein hellroter Warmwasserstrom zu sehen, der sich unter der Alfredstraße in Lichtenberg bis zur Frankfurter Allee zieht. Dort wäre wohl irgendwann die unterspülte Straße abgesackt. Ein Bautrupp wäre angerückt, hätte alles aufgegraben – und erst danach festgestellt, dass das Wasser von viel weiter oben unter der leicht abschüssigen Alfredstraße entlangrann. Im Sommer wurde das Rohr repariert – und bei einem extra geflogenen Schlenker im Winter darauf überprüft. Nun lag die Straße wieder kalt und blau in der Nacht.

Mit etwa 70 akuten Schäden pro Jahr gilt das Berliner Fernwärmenetz – das größte seiner Art in Mittel- und Westeuropa – als relativ solide. Auch die Leitungen aus der Entstehungszeit der Plattenbaugebiete seien robust, sagt Mekelburg. In einem Fall half allerdings auch das Flugzeug nicht: Irgendwo an der Salvador-Allende-Straße in Köpenick verschwanden große Mengen Wasser aus dem Netz, ohne Spuren auf dem Infrarotbild zu hinterlassen. Um das Leck zu finden, pumpte Vattenfall grüne Lebensmittelfarbe in die Leitungen. Bald darauf meldete sich ein Junge, dem die Grünfärbung der Spree an der Allende-Brücke aufgefallen war. Die Farbe sickerte vom Uferbereich her in den Fluss. Damit war das Leck gefunden – und der Junge war zum Dank um zwei Karten für ein Hertha BSC-Spiel reicher. Stefan Jacobs

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