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Nahverkehr: Begleitservice des VBB von Streichung bedroht

Der Begleitservice im Nahverkehr ist ein Erfolg. Vor allem Ältere nutzen das Angebot, um mobil zu bleiben. Doch nun ist das Projekt bedroht.

Charlotte Konetznik weiß ganz genau, was sie will. In ihrem blauen Anorak wartet die höchstens noch 1,45 Meter große Frau bereits vor der Tür ihrer Wohnung im zweiten Stock, abfahrbereit auf ihren Rollator gestützt. „Ich muss zum Augenarzt und später noch einkaufen“, sagt die alte Dame bestimmt, während sie sich langsam in Richtung Fahrstuhl vorschiebt. Thomas Krause lächelt freundlich: „Alles klar.“ Seine knallrote Jacke weist ihn als Mitarbeiter des Begleitservices des Verkehrsverbunds Berlin Brandenburg (VBB) aus. Krause ist an diesem Morgen nach Zehlendorf gekommen, um Charlotte Konetznik zu begleiten. Denn allein geht die 102-Jährige nicht mehr aus dem Haus.

Für Menschen wie Charlotte Konetznik wurde der Begleitservice eingerichtet. Doch nicht nur ältere Leute und Behinderte sollen durch das Hilfsangebot mobil bleiben, sondern beispielsweise auch Eltern von Drillingen oder ängstliche Menschen. „Prinzipiell kann sich jeder bei uns melden, der nicht so gern allein aus dem Haus geht“, erklärt Projektleiterin Heike Rau. Voraussetzung ist nur, den Bus, die U- oder S-Bahn zu benutzen. Ein kurzer Anruf am Vortag und der Begleiter ist zur Stelle.

Immer mehr Menschen nehmen diesen Service in Anspruch. Seit dem Start des Projekts im Oktober 2008 hat sich die Zahl der Begleitungen von anfangs 94 monatlich auf 1002 im April 2010 erhöht. 60 Mitarbeiter sind heute täglich von 7 bis 22 Uhr im Einsatz. Es sind Langzeitarbeitslose, die durch den Job beim VBB wieder ins Berufsleben eingegliedert werden sollen. Ein deutschlandweit einmaliges Projekt, von dem beide Seiten profitieren.

Und dennoch ist derzeit nicht sicher, ob es nach dem 31. Juli weitergehen kann, wenn die Maßnahme des Öffentlichen Beschäftigungssektors vorerst ausläuft. „Es gibt Schwierigkeiten bei der Weiterfinanzierung“, bestätigt Anja Wollny, Sprecherin der Senatsverwaltung für Soziales, die das Projekt gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit und der Europäischen Union finanziert. Bei den Jobcentern gebe es Probleme, da nicht klar sei, ob und in welcher Form die Bundesmittel weiter eingesetzt werden könnten. Wollny ist jedoch zuversichtlich, dass die Probleme gelöst werden können. „Es ist ein Projekt, das von allen Seiten gewünscht ist“, sagt sie.

Für Thomas Krause bedeutete der Job einen Neubeginn, eine neue Perspektive. Der 56-Jährige hat früher auf dem Bau gearbeitet. Als seine Mutter krank wurde, stieg er aus, um sie zu pflegen. Als sie vor drei Jahren starb, wusste Krause ein Jahr lang nicht wohin. Bis er übers Jobcenter zum VBB kam. „Es macht viel Spaß“, sagt er. Die Anerkennung der Menschen motiviert ihn. Außerdem hat Krause viel gelernt: Drei Monate lang paukten die Mitarbeiter das Verkehrsnetz, machten einen Erste-Hilfe-Schein, lernten den Umgang mit Behinderten und erhielten sogar Schauspielunterricht, um auf schwierige Situationen reagieren zu können.

Inzwischen ist Thomas Krause ein Profi. Im Bus in Richtung Zehlendorf überprüft er noch einmal die Angaben auf seinem Auftrag, auf dem die Busverbindung und Wegbeschreibung zu Charlotte Konetznik verzeichnet sind. „Sobald ich die Leute abgeholt habe, kann ich den Plan meist vergessen“, sagt er schmunzelnd. Und wirklich: Auch Charlotte Konetznik übernimmt sofort das Kommando. Sie kennt diesen Weg schließlich seit 40 Jahren. Ein gewisses Unbehagen ist Krause anzumerken, denn er begleitet die 102-Jährige zum ersten Mal. Nun muss er darauf vertrauen, dass sie noch so fit ist, wie seine Kollegen ihm erzählt haben.

Mehrmals pro Woche ruft Charlotte Konetznik beim VBB an. Nachdem ihre große Liebe nicht aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkehrte, ist sie allein geblieben, kinderlos. Konetznik hat gelernt, sich selbst zu helfen. Seien es der humanistische Verband, die Johanniter oder die Bürgerhilfe – sie kennt die Angebote genau. Sie will jetzt sogar noch einen Englischkurs machen. Seit Konetznik den Begleitservice des VBB entdeckt hat, geht sie noch öfter hinaus. Denn sie glaubt, dass sie vor allem aufgrund der vielen Bewegung und der nicht nachlassenden Neugierde so alt geworden ist.

„Das ist unserer Bus“, sagt sie. Thomas Krause hebt ihren Rollator hinein und hilft ihr beim Einsteigen. Sie bekommt sofort einen Platz angeboten und lächelt zufrieden in Richtung Krause. „Serviceteam“ steht auf dessen leuchtend roter Jacke. „Die Leute haben Respekt davor“, glaubt er. „Und dadurch fühlen sich unsere Kunden sicherer.“ Mit Thomas Krause an ihrer Seite marschiert Charlotte Konetznik selbstbewusst zum Augenarzt, wo er geduldig mit ihr wartet, dann zum Supermarkt. Die beiden unterhalten sich fröhlich. Sie weiß noch nicht, dass es damit vielleicht bald vorbei sein könnte. Und auch für Thomas Krause ist der Job mehr als eine Übergangsmaßnahme. „Ich hoffe, dass ich das hier noch lange machen kann“, sagt er.

Mehr Informationen unter (030) 25 414 414 oder im Internet: www.vbbonline.de/begleitservice

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