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Außer Kontrolle. Fehlverhalten in der Natur wird fast nie geahndet.

© Jürgen Erdmann

Naturschutzgebiete in Berlin: Umweltschützer fordern Parkranger gegen Wilderei

Angeln, Hunde, Motocross: Die Naturschutzgebiete in Berlin sind bedroht. Umweltschützer zeigen sich besorgt.

Von Christian Hönicke

Umweltschutzverbände schlagen Alarm: Grassierende Wilderei bedroht die Naturschutzgebiete der Stadt, und Behörden schauen machtlos zu. „Ich könnte stundenlang Schauergeschichten erzählen“, sagt Herbert Lohner, Referent für Naturschutz beim Landesverband Berlin des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND). Er berichtet von bedrohten oder bereits vertriebenen Arten etwa durch illegales Fischen, wilde Partys oder jagende Hunde. Rund 40 Natur- (NSG) und 60 Landschaftsschutzgebiete (LSG) gibt es in der Stadt, „und es gibt fast keines ohne Problem“, sagt Lohner, viele Schutzgebiete seien seit Jahren de facto „rechtsfreie Räume“.

„Ja, diesen Eindruck können wir leider bestätigen“, sagt Matthias Tang, Sprecher der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, die als oberste Verwaltungsinstanz für die Schutzgebiete zuständig ist. Man erhalte viele Hinweise von Bürgern, Naturschutzverbänden und aus den Bezirken über zunehmende illegale Nutzungen in den Schutzgebieten, die eigentlich besonders gefährdeten Tier- und Pflanzenarten vorbehalten bleiben sollen. „Schwerpunkte sind vor allem dort, wo Gewässer und frei zugängliche Bereiche wie Wiesen oder Trockenrasenflächen auch nicht erlaubte Nutzungen anziehen“, sagt Tang.

Beispiele seien das Feuchtgebietsbiotop „Sandgrube im Jagen 86“ im Grunewald, das NSG Baumberge in Heiligensee, die Freiflächen Dahlemer Feld und das LSG Blankenfelde in Pankow. Aber auch die Berliner Forste seien davon betroffen. Ein besonders großes Problem sind laut Tang frei laufende Hunde, obwohl in den Schutzgebieten Leinenzwang gilt. Er fordert deshalb „verstärkte Kontrolle durch die Vollzugskräfte“ in den Schutzgebieten.

„Man hat das Gefühl, man muss die Behörden zum Jagen tragen“

Für die Überwachung sind die Bezirke mit ihren Unteren Naturschutzbehörden und den Ordnungsämtern zuständig. Doch die jahrelange Sparpolitik schlage im Naturschutz besonders durch, sagt Naturschützer Herbert Lohner: „Man hat das Gefühl, man muss die Behörden zum Jagen tragen.“ Ihm graut vor jedem schönen Wochenende, dann spiele sich „ein Drama in Portionen“ ab: Viele kleine Eingriffe würden in der Summe zu „einer naturschutzfachlichen Entwertung führen, die am Ende ein Schutzgebiet infrage stellen“.

Als Beispiel für ein Schutzgebiet, das den Namen eigentlich nicht mehr verdient, führt er den Köppchensee im Reinickendorfer LSG Tegeler Fließ an. Dort würden frei laufende Hunde Tag für Tag geschützte Wildtiere jagen. Ahndungen gibt es nicht. Lohners Fazit: „Der Naturschutz hat in Berlin keinen Stellenwert.“

Das kann Katrin Koch bestätigen. Sie ist beim Naturschutzbund Deutschland (NABU) für die großen Landschaftsschutzgebiete in Pankow und Reinickendorf zuständig. „Es ist zum Verzweifeln“, sagt sie. „Ich dachte immer, wenn ein Gebiet ein Schutzgebiet ist, ist es gesichert.“ Stattdessen würde streng geschützten Arten seit Jahren der Lebensraum genommen, „und es kontrolliert keiner. Das Bezirksamt sitzt das einfach aus. Ich weiß nicht mehr, was man machen soll.“

Einer der größten Wilderei-Hotspots ist laut Lohner das Pankower LSG Blankenfelde an den Arkenbergen. Dort würden am Biotopsee regelmäßig große illegale Partys stattfinden, „kleine Festivals über mehrere Tage“ inklusive Müllbergen und Lagerfeuer mit aus dem Wald geschlagenen Holz bei Waldbrandwarnstufe 5.

Die Konsequenzen rechnet er vor: Am Biotopsee Arkenberge zählte der BUND vor vier Jahren noch 200 Orchideen, den größten konzentrierten Orchideenbestand Berlins. „Durch Badeaktivitäten, Reiterei und Hunde sind weniger als zehn übrig geblieben.“

In der Senatsverwaltung steht man dem Vorschlag offen gegenüber

Ganz aus Pankow verschwunden sind die auf der Roten Liste stehenden Vogelarten Flussregenpfeifer, Roter Milan, Beutelmeise und Rohrweihe, sagt Jürgen Erdmann. Der Hobby-Naturschützer versorgt NABU, BUND und Behörden mit Meldungen aus den LSG. Gesehen hat er schon viel: Motocrossrennen und Pferdeausritte, professionelle Dogwalker, deren Hunderudel sich auf seltene Vögel stürzen, Angeln an Biotopseen wie am Karower Teichberg, verklappter Bauschutt und Müll, der ewig nicht abtransportiert wird. Erdmann spricht von einem „Totalversagen der Behörden“, Dienstaufsichtsbeschwerden gegen die Polizei und Untätigkeitsanzeigen gegen das Pankower Ordnungsamt blieben erfolglos.

Er wisse um die Problematik, räumt Pankows Umweltstadtrat Daniel Krüger (parteilos/für AfD) ein. Doch der Schutz der Gebiete „kann nicht so wahrgenommen werden, wie manche sich das wünschen. Wir sind keine Umweltpolizei, die mit Blaulicht in einer akzeptablen Reaktionszeit von 20 Minuten auftauchen kann.“ Eine permanente Kontrolle der LSG sei mit dem bestehenden Personal schlicht nicht möglich. Auch Matthias Tang von der Senatsverwaltung räumt ein, dass „die Möglichkeiten insbesondere der Ordnungsämter begrenzt sind“.

Katrin Koch vom NABU schlägt deshalb vor, den Ordnungsämtern die Zuständigkeit für die LSG abzunehmen: Brandenburg habe eine Naturschutzwacht, auch Berlin brauche „Respektspersonen, die Präsenz ausüben und nicht nur Knöllchen verteilen. Vielleicht sind in besonders sensiblen Gebieten Parkranger wie in Amerika notwendig.“ Diese könnten bei der Polizei angesiedelt werden, etwa bei der Umweltkripo. In der Senatsverwaltung steht man diesem Vorschlag durchaus offen gegenüber.

Koch fordert eine konzertierte Aktion der Ordnungsämter, zudem andere Wegesysteme und Abgrenzungen, um Besucher aus besonders sensiblen Bereichen auszusperren. Andernfalls sieht sie mehr als nur die Stadtnatur gefährdet. „Es ist ein soziologisches Problem. Wenn das Bewusstsein gefördert wird, dass das alles nichts wert ist, öffnet man der Verwahrlosung Tür und Tor. Die Frage ist: Was lässt sich Berlin gefallen?“

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