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Berlin: Neonazis missbrauchen Popsongs und Schlager

Mit Liedern von „Wir sind Helden“ und Udo Jürgens gegen Holocaust-Mahnmal und Juden

Zuerst waren es nur drei blaue Transparente mit den üblichen Parolen, mit denen rund 25 Neonazis am Montag bei ihrer Kundgebung am Alexanderplatz gegen das Holocaust-Mahnmal protestierten. Später aber kam noch ein viertes hinzu, dessen Inhalt wohl manchen – vor allem jugendlichen – Passanten erstaunte: „Hol den Vorschlaghammer. Sie haben ’uns’ ein Denkmal gebaut“, stand auf dem orangenfarbenen Transparent. Er gehört zu dem Song „Denkmal“ der jungen Berliner Popband „Wir sind Helden“. Und die hat mit rechtem Gedankengut nun gar nichts zu tun. Die Pressebetreuerin reagierte am Mittwoch schockiert: Sie habe erst durch den Tagesspiegel davon erfahren und wolle jetzt Kontakt zur Band aufnehmen.

Das Lied, das zurzeit auf allen Radiostationen gespielt wird, kommt den Neonazis gerade recht: „Sie haben uns ein Denkmal gebaut. Und jeder Vollidiot weiß, dass das die Liebe versaut...“, heißt es unter anderem in dem Song. Die Neonazis scheinen nach dem Motto vorzugehen: Hauptsache, die Melodie ist eingängig und der Text passt. Und wenn nicht, dann wird er passend gemacht.

So, wie Udo Jürgens’ „Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an“. Der 69-jährige Schlagersänger hat am Mittwoch über seinen Anwalt juristische Schritte eingeleitet und Strafanzeige wegen Urheberrechtsverletzung gestellt, weil sein Lied von Rechtsextremen missbraucht werde. Dies bestätigte der Sprecher von Udo Jürgens, Thomas Weber. Der Hinweis sei über die E-Mail eines Fans gekommen. Eine „entstellte Version“ des Songs werde offenbar unter der Hand auf Tonträgern verbreitet und auf rechtsradikalen Konzerten aufgeführt, sagte Weber. Wo die Konzerte stattfanden, sei ihm nicht bekannt. Die Strafanzeige wurde in Berlin gestellt, da der Anwalt den Verlag „Melodie der Welt“ vertritt: Dieser wiederum habe die Urheberrechte für Jürgens’ Lieder. Den konkreten Inhalt des umgetexteten Liedes wollte Weber nicht wiedergeben; der Text verharmlose den Holocaust und verhöhne „das unsägliche Leid des jüdischen Volkes während der Nazidiktatur“.

Die Methode, Texte aus Liedern zu missbrauchen oder deren Sinn zu entstellen, ist nicht neu. Dierk Borstel, Mitarbeiter vom „Zentrum Demokratischer Kultur“, einem freien Verein gegen Rechtsextremismus, erinnert sich: Ende der 90er Jahre brachten Rechtsextreme unter dem Namen „Zillertaler Türkenjäger“ eine CD heraus mit mehr als zehn Liedern, in denen Stücke umgetextet worden sind: So wurde aus Udo Lindenbergs „Sonderzug nach Pankow“ ein „Sonderzug nach Mekka“ und Klaus Lages „1000 Mal berührt“ wurde so umgeschrieben, dass es sich gegen Homosexuelle richtet. Die CD sei noch immer auf rechten Partys beliebt, sagt Borstel. Die Rechten bedienten sich einer cleveren Strategie, indem sie über die Musik Jugendliche erreichen wollten.

Dies bestätigt der Leiter des Staatsschutzes der Berliner Polizei, Klaus Gäth. „Musik wird als Transportmittel für den Einstieg in die Szene benutzt.“ Deswegen sähen die Beamten die Musik auch als „strafrechtlich hoch zu bewertendes Gut“. Geprüft werde ständig, doch könnten die Beamten nur Lieder indizieren lassen, deren Text strafrechtlich relevant ist – also beispielsweise zu Gewalt aufruft oder volksverhetzend ist. Dasselbe gilt für die vielen Abziehbilder, die seit einigen Wochen vor allem in Pankow geklebt worden sind. Szenekenner sagen, dass eine Gruppierung namens „Vereinte Nationalisten Nordost“ diese Aufkleber mit Inhalten wie „National befreite Zone“ oder „Deutsche kauft bei Deutschen“ verbreitete. „Die Gruppierung ist uns bekannt“, sagt Gäth. Doch der Inhalt der Aufkleber sei strafrechtlich nicht von Belang: „So etwas darf man in einer Demokratie äußern.“

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