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Ich seh in 3D: Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit am Freitag beim Start der Funkausstellung – in der Realität sind die Aussichten seiner SPD weniger bunt.

© ddp

Nervöse Sozialdemokraten: Berliner SPD: Bloß nicht schwarz sehen - vor fünf Jahren

Vor fünf Jahren wuchs bei der Berliner SPD die Nervosität, seitdem die Grünen in den Umfragen vorn lagen. Noch lag Wowereit unangefochten als Spitzenkandidat vorn. Jüngere Genossen könnten sich aber auch Grün-Rot vorstellen. Was Ulrich Zawatka-Gerlach darüber schrieb.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

„Ich freu mich auf den Wahlkampf“, sagt der SPD-Landeschef Michael Müller. „Dann kommt alles auf den Tisch, dann geht’s rund.“ Die Kasse des Berliner Landesverbands ist gut gefüllt, damit lässt sich was reißen. Die Mitgliederzahlen in Berlin steigen, und bundesweit sind die Sozialdemokraten im Aufschwung. Alles ist gut? Nein, ist es nicht. Das erklärte Ziel der SPD, bei der Abgeordnetenhauswahl im September 2011 zum dritten Mal hintereinander stärkste politische Kraft zu werden, ist sehr ambitioniert. Vielleicht unerreichbar.

Das Problem sind nicht nur die Grünen, die derzeit auf einer Woge der Sympathie schwimmen. Das Problem ist die SPD selbst. Zwischen Karow und Nikolassee, Staaken und Mahlsdorf ist die Parteibasis verunsichert und nervös. In den Ortsvereinen wird gerätselt, was die Wähler überzeugen könnte, dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit weitere fünf Jahre im Roten Rathaus zu gönnen. Dass er jetzt schon länger im Amt ist als Willy Brandt, dafür kann sich Wowereit nichts kaufen. „Was wir in der Koalition machen, ist oft Stückwerk“, sagt ein Genosse aus dem Südwesten, der kein Funktionär ist. „Sozialdemokratisch, aber beliebig, es fehlt ein rundes Konzept.“

In der Berliner SPD ist das keine Einzelmeinung. Eine Prise von jedem macht noch keinen guten Eintopf. Zwar hat die Landes-SPD den Schock der Bundestagswahl 2009 einigermaßen überwunden, und Wowereit bemüht sich als Vize-Parteichef, seine Kräfte zwischen Landes- und Bundespolitik einigermaßen ausgewogen zu verteilen. Im Team mit Müller ist er parteiintern noch unangefochten, aber es gibt schleichende Entfremdungserscheinungen, die auch den SPD-Landeschef nicht verschonen. Bei der Wiederwahl im Juni stimmten knapp 80 Prozent der Delegierten für Müller, der seit 2004 an der Spitze steht. Ein kleiner Dämpfer.

Beide Spitzenleute wissen, dass sie das Anfang 2010 gemeinsam verfasste „Eisenacher Papier“, das Aufbruch verhieß, endlich mit Leben füllen müssen. Eine forcierte Industriepolitik, Integration und soziale Stadtentwicklung, die Stärkung der öffentlichen Daseinsvorsorge – das sollen die Themen sein, die innerparteilich begeistern und die Wähler überzeugen. Eine Rückbesinnung auf sozialdemokratische Kernkompetenzen: Wirtschaft, Arbeit, Soziales. „Damit wollen wir für die nächsten fünf Jahre der Stadt eine Perspektive bieten“, sagt Müller. Vor neuen Reformen im Bildungswesen soll Berlin verschont bleiben. Erst mal ordentlich umsetzen, was Rot-Rot beschlossen hat, vor allem an den Schulen.

Unangenehm für die Sozialdemokraten ist, dass der Koalitionspartner, die Linke, mit denselben Themen in den Wahlkampf ziehen will. Wirtschaftssenator Harald Wolf zählt auf: „Stärkerer Einfluss des öffentlichen Sektors, sozialer Zusammenhalt, ökologische Industriepolitik“. Der Vorteil der Linken ist, dass sie die zugehörigen Senatsressorts seit vielen Jahren besetzen. Es sieht ganz so aus, als wenn sich die Regierungsparteien im Wahlkampf nicht in der Sache, sondern im Personalangebot unterscheiden werden. Möglicherweise schicken die Linken die Sozialsenatorin Carola Bluhm als Spitzenkandidatin ins Rennen.

Wowereit wird erst im Mai 2011 offiziell nominiert. Wen gibt es außerdem? Dem SPD-Landes- und Fraktionschef Müller ist klar, dass nach der Wahl „der Generationswechsel in der SPD fortgesetzt werden muss.“ Also auch im Senat, bei den Staatssekretären und in den Bezirken. Die Parlamentsfraktion der Sozialdemokraten hat sich schon 2006 verjüngt, aber an der Spitze ist die Personaldecke fadenscheinig. An ehrgeizigen Fachpolitikern und Kommunalbeamten fehlt es nicht. Doch sollte Wowereit weiter regieren, muss er bei der Suche nach neuen Gesichtern für sein Kabinett wohl wieder durch die Republik telefonieren. In greifbarer Nähe, etwa fürs Wirtschaftsressort, bietet sich eigentlich nur der Unternehmer und Ex-Banker Harald Christ an, seit kurzem Landesschatzmeister der SPD. Finanzsenator Ulrich Nußbaum wird wohl bleiben, alles weitere ist offen.

Aber wer könnte, wenn sie nicht mehr zur Verfügung stehen, in die Fußstapfen von Wowereit und Müller treten? Wen man auch immer in der Berliner SPD fragt, es folgt ein ratloses Schulterzucken. Und wann könnte dieser Fall eintreten? Entweder in einem Jahr, sollte die Abgeordnetenhauswahl für die Sozialdemokraten verloren gehen. Oder 2013, wenn der nächste Bundestag gewählt wird. Vieles deutet daraufhin, dass sich spätestens dann der weitere Weg des Spitzenduos entscheidet. Aber dazu sagen sie nichts.

Auf eine andere Frage, die schon ins nächste Jahr zielt, reagieren Müller und Wowereit, als würden Naturgesetze ausgehebelt. Was macht die SPD, wenn die Grünen bei der Wahl 2011 in Berlin stärkste Partei werden? „Das kann ich mir nicht vorstellen“, sagt Müller. Maximal denkbar sei, dass die Grünen an das Ergebnis heranreichen, dass die PDS 2001 mit Gregor Gysi an der Spitze erzielte. Das waren immerhin 22,6 Prozent. Als eigene Zielmarke peilt die SPD-Führung mutig das Wahlergebnis von 2006 an. So etwa 30 Prozent. Wowereit habe Lust auf Wahlkampf und wolle es noch einmal wissen, heißt es in seiner Umgebung. Er wird als Macher auftreten, in Augenhöhe mit den wichtigen Entscheidern in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

Eine rot-grüne Mehrheit wird angepeilt, nach zehn Jahren Koalition mit der Linken. Zwar gibt es auch jüngere Genossen, die mit Grün-Rot unter einer Regierenden Bürgermeisterin Renate Künast leben könnten. Aber jene Sozialdemokraten, die an der großen Koalition mit der CDU in den neunziger Jahren aktiv beteiligt waren, wollen keinesfalls Juniorpartner werden. Damals schrumpfte die SPD von Wahl zu Wahl auf ihre Kernwählerschaft von 20 Prozent zusammen. Die Angst vor einem neuen Niedergang ist groß. Dann lieber flexibel sein. Bei einem Wahlsieg der Grünen wird in der Berliner SPD auch eine Fortsetzung von Rot-Rot – oder gar eine Koalition mit der CDU nicht völlig ausgeschlossen.

Der Beitrag erscheint in unserer Rubrik "Vor fünf Jahren"

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