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Von wegen, das Buch stirbt aus. Die Leser werden nur flexibler.

© Jens Kalaene/dpa

Neue Buchladen-Konzepte in Berlin: Literatur und Kiez-Gefühl bei Rotwein und Cappuccino

Zahlreiche Berliner Buchhändler gehen längst über das reine Geschäft mit bedrucktem Papier hinaus – mit Weinabenden, Klavierkonzerten und einem engen Draht zu den Kiezbewohnern erfinden sie sich neu.

Die Buchhandlung ist der städtische Wohlfühlort Nummer eins – behauptet zumindest eine Studie der Kampagne „Vorsicht Buch!“. Auch Berliner Buchhändler finden originelle Konzepte, die gerade Anwohner zum Verweilen einzuladen. Einfach nur Bücher verkaufen, das war einmal.

„Wir sind keine klassische Bücherstube, sondern bieten ein offenes Gesamtkonzept“, sagt Marina Reuscher. Die 31-Jährige hat vor drei Jahren in Kreuzberg „Playing with eels“ eröffnet – Buchhandlung, Galerie und Café in einem. So vereinte die studierte Kulturwissenschaftlerin ihr Interesse für Literatur, Kunst und vegane Kost. Im Hinterzimmer serviert sie samstags ein veganes Brunch und ein befreundeter Pianist spielt am Klavier eigene Kompositionen. Zu den Vernissagen, Konzerten und Lesungen mit Berliner Autoren kommt das Publikum aus der ganzen Stadt. Geöffnet ist ab 12, aber dafür bis 21 Uhr: „Der Kiez wacht einfach später auf“, sagt Reuscher.

Um konkurrenzfähig gegenüber Online-Anbietern zu bleiben, nimmt „Playing with eels“ außerdem an der Initiative „Genialokal“ teil. Aus bisher 700 Buchhandlungen finden Kunden diejenige, bei der ihr gewünschtes Buch abholbereit ist. Die meisten Buchbestellungen gehen übrigens per E-Mail ein: Man muss flexibel bleiben, um auf die Wünsche der heutigen urbanen Kundschaft einzugehen.

Die soziale Komponente, eine Flasche Rotwein

Für Freunde und Kunden macht Jörg Braunsdorf im Tucholsky gegen Feierabend eine Flasche Wein auf – und das, obwohl das Tucholsky in Mitte nicht mehr und nicht weniger ist als eine klassische Buchhandlung. „So ergeben sich nämlich immer Gespräche über Bücher, Politik und Kiezangelegenheiten“, sagt Braunsdorf. Im April veranstaltete er erstmals das Literaturfestival „Read!Berlin“ mit Lesungen an 15 Orten im Kiez – Fortsetzung folgt. Der Buchhändler ist gut vernetzt mit Nachbarn, Kulturinstitutionen, Autoren und Verlegern.

„Unsere Stärke gegenüber Internetanbietern ist die soziale Komponente. Die Stadt muss wissen, ob sie das erhalten will“, sagt Braunsdorf. Mit seinem Verein „buy local“ setzt sich der 55-Jährige für den Erhalt von inhabergeführten Geschäften ein. Er möchte sich nicht in große Center verdrängen lassen. Er will einen nachbarschaftlichen, lebendigen Kiez.

Deshalb veranstaltet der gebürtige Hesse auch Buchpremieren, Podiumsdiskussionen und philosophische Gesprächsrunden. Sogar ein literarisches Quartett für Kinder findet im kleinen Buchladen statt. 80 Prozent seiner Kunden sind Stammkunden: „Ohne die Anwohner wäre der Buchladen nicht denkbar.“ Zuletzt entstand aus einem der inoffiziellen Weinabende im Geschäft die Idee, mit Nachbarn den Hinterhof zu begrünen.

Schlemmen und schmökern am Spreebogen

Unter einem großen Ahornbaum direkt am Spreebogen frühstücken und dabei lesen, das können Besucher der Buchkantine. Denn der Laden mit seiner gemütlichen Terrasse ist eine Art Wohnzimmer für den Kiez und dessen Familien. „Dass man die Namen seiner Kunden kennt, dass man ihnen das Gefühl vermittelt, für sie da zu sein – das muss Buchhandel heute schaffen“, sagt Peter Farber, der schon als Lehrling in den Beruf eingestiegen ist.

Bevor die Buchkantine vor zehn Jahren öffnete, befragten die Betreiber die Haushalte der Umgebung nach ihren Wünschen für den Kiez. So bekam der Kiez sein Café, das Bücher serviert, mit dem Schwerpunkt Belletristik und Kinderbuch. Die Buchkantine bietet neben einer Spielecke auch Raum für Veranstaltungen: Die Schulen der Umgebung führen hier szenische Lesungen und Performances auf, sonntags zeigt die Buchkantine den Tatort und zur Langen Nacht des Buches gibt es Autorenlesungen.

Die autorenbuchhandlung am Savignyplatz ist besonders durch ihre lange Tradition attraktiv für Berliner und Touristen. Und der Name ist Programm – Schriftsteller gehen hier ein und aus, um sich auszutauschen und Lesestoff zu besorgen. Gegründet 1976 von Literaten wie Günter Grass und Elfriede Jelinek, übernahmen vor sieben Jahren Marc Iven und Joachim Fürst die Buchhandlung. Neben der großen Auswahl an Lyrik und Belletristik gibt es auch ein Literaturcafé: Wer dort sitzt, sieht belesen aus.

Auch Mitarbeiter Christian Dunker liest pro Woche zwei bis drei Bücher, und das schätzen die Kunden: „Fast wie ein Apotheker muss man ein tiefes Vertrauen zu seinen Kunden aufbauen. Sie offenbaren sie sich schließlich mit ihren Buchwünschen.“

Lesungen bestreiten Katja Riemann oder Haruki Muramaki

Für die Lesungen begeistern die Buchhändler bekannte Schriftsteller und Schauspieler wie Ulrich Matthes und Katja Riemann. „Bei uns geben die Gäste ihre Reserviertheit mit der Jacke am Kleiderhaken ab.“ Traditionell stellen Autoren außerdem ihre eigenen Lieblingsbücher vor. Im Herbst und im Frühjahr bringt die Buchhandlung sogar ihre eigene Literaturzeitschrift heraus – für Kunden gratis.

Aber auch in Prenzlauer Berg verkaufen Buchhändler längst nicht mehr nur Bücher. Die Buchbox ist auf der Suche nach urbanen Trends. Für junge Leser veranstaltet sie Konzerte, Theater, Bastel- und Spielaktionen rund um ihre Kinderbuchhelden. Und Inhaber Jan Köster lädt internationale Autoren wie Paul Auster oder Haruki Murakami ein.

„Im Programm haben wir aber auch Independentverlage. Nur keinen Mainstream, das mögen unsere Kunden nicht“, sagt Köster. Das gilt anscheinend auch für das hippe Café „Vegan Tiger“, das seit Mai in der Buchbox am Helmholtzplatz zu Hause ist. Farzad Nouroozi zeigt mit Rohkuchen und Matcha-Cappuccino, was die Leser im 21. Jahrhundert so zu sich nehmen.

Playing with eels, Urbanstraße 32, Kreuzberg. Tucholsky, Tucholskystraße 47, Mitte. Buchkantine, Dortmunder Straße 1, Moabit. autorenbuchhandlung, Else-Ury-Bogen 599-601 am Savignyplatz, Charlottenburg. Buchbox, Lettestraße 5, Prenzlauer Berg.

Jana Scholz

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