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"Leider wurden auch bei uns wie in anderen Kliniken Atemschutzmasken entwendet", berichtet der Mediziner Harald Matthes.

© imago images/photothek/Xander Heinl

Neue Coronavirus-Ambulanz in Berlin-Spandau: „Wir sehen eine extreme Verunsicherung der Bevölkerung“

Auch vom „Angstvirus“ geht eine Gefahr aus, glaubt der Mediziner Harald Matthes. Nun startet seine Klink eine besondere Coronavirus-Ambulanz. Ein Interview.

Harald Matthes ist Ärztlicher Leiter und Geschäftsführer des Gemeinschaftskrankenhauses Havelhöhe in Spandau. Das Krankenhaus eröffnet am Montag eine Coronavirus-Ambulanz.

Warum richtet das Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe eine Ambulanz für diejenigen ein, die sich auf das Corona-Virus testen lassen wollen?
Wir sehen zur Zeit beim Coronavirus eine extreme Verunsicherung der Bevölkerung, die manchmal bereits Züge einer Hysterie angenommen hat.

Leider ist auch die Ärzteschaft von diesem „Angstvirus“ betroffen, so dass es niedergelassenen Mediziner inzwischen ablehnen, die Patienten zu behandeln und sie lieber an die Rettungsstellen der Kliniken verweisen, wo es zu weiteren Ansteckungen kommen könnte. Deshalb haben wir uns entschlossen, ein medizinisches Angebot zu schaffen, in dem zentral Verdachtsfälle auf das Coronavirus abgeklärt werden, aber in einem von der Rettungsstelle abgetrennten, extra dafür eingerichteten Gebäude.

Welche Zielgruppe haben Sie im Blick?
Das sind vor allem Menschen, die Kontakt mit einer mit dem Virus infizierten Person hatten, und diejenigen, die Symptome zeigen, die sie beunruhigen. Hier wollen wir abklären, ob es überhaupt Grund gibt, Angst zu haben. Das heißt, es geht uns nicht nur darum, einfach Abstriche zu machen und diese auf das Coronavirus zu testen. Wir wollen die Menschen untersuchen, mit ihnen sprechen und klären, ob überhaupt eine Gefährdung vorliegt. Gibt es sie, machen wir selbstverständlich die entsprechende Diagnostik.

Frontansicht der neuen Corona-Ambulanz auf dem Campus vom Gemeinschaftskrankenhaus und MVZ Havelhöhe.
Frontansicht der neuen Corona-Ambulanz auf dem Campus vom Gemeinschaftskrankenhaus und MVZ Havelhöhe.

© Thilo Rückeis

Mit welchen Symptomen sollte man sich an die Ambulanz wenden?
Vor allem dann, wenn sich eine grippale Symptomatik zeigt, also Unwohlsein, Kratzen im Hals, Halsschmerzen, Atemnot, Fieber oder Kopfschmerzen. Und auch, wenn man Kontakt hatte mit einem mit dem Coronavirus infizierten Menschen, man also ein sogenannter Index-Patient ist. In solchen Fällen bekommt man ja von einem Amtsarzt die Aufforderung, abklären zu lassen, ob man sich angesteckt hat.

[Und wie ging es weiter? "Die Corona-Ambulanz versorgt nur noch 30 Patientinnen am Tag und die Hotline wird nur noch vereinzelt nachgefragt.“ Ein Blick auf die Corona-Ambulanz im Berliner Krankenhaus Havelhöhe im Mai 2020 - hier im Tagesspiegel-Newsletter für Berlin-Spandau. Immer konkret - unsere Bezirksnewsletter leute.tagesspiegel.de].

Können Patienten in der Ambulanz einen Termin bekommen, auch wenn sie nicht zuvor mit einer Arztpraxis Kontakt hatten?
Ja, wir bitten aber um einen vorherigen Anruf bei unsere Telefonhotline, die wir dafür eingerichtet haben. Wir gehen davon aus, dass wir wahrscheinlich bei vielen beunruhigten Anrufern bereits am Telefon klären können, ob ein Besuch in der Ambulanz überhaupt nötig ist. Wenn sich dabei zeigt, dass die Symptome diagnostisch geklärt werden sollten, bitten wir darum, vorbeizukommen. Dann testen wir, ob das Coronavirus, eine Grippe oder ein anderer Infekt hinter den Symptomen steckt. Wir werden aber auch für diejenigen, die trotz fehlender Hinweise auf eine Erkrankung so verängstigt sind, dass wir sie am Telefon nicht beruhigen können, vor Ort psychologische Hilfe anbieten.

[Alle wichtigen Updates des Tages zum Coronavirus in den Fragen des Tages. Dazu die wichtigsten Nachrichten, Leseempfehlungen und Debatten.]

Schon zu normalen Zeiten kann es dauern, bis man beim Arzt jemanden ans Telefon bekommt. Wie viele Leitungen haben Sie für die Anrufer der Hotline vorgesehen?
Zur Zeit gibt die Telefonanlage leider nur maximal vier gleichzeitige Gespräche her. Wir wollen die Anlage aber relativ kurzfristig auf die Möglichkeit für sechs oder acht gleichzeitige Gespräche aufrüsten. Wir hoffen wirklich sehr, dass die Menschen vorher anrufen. Aber unsere Erfahrungen aus der Rettungsstelle zeigen, dass ein Drittel ohne vorherigen Anruf spontan zu uns kommt. Und das wird in der Ambulanz wohl auch so sein.

Harald Matthes, Ärztlicher Direktor der Klinik Havelhöhe.
Harald Matthes, Ärztlicher Direktor der Klinik Havelhöhe.

© promo

Das Krankenhaus Havelhöhe liegt nicht sehr zentral. Zu Ihnen kommt man eigentlich nur mit dem Bus oder dem eigenen Auto. Ist es nicht ein Risiko, dass die möglicherweise infizierten Menschen auf dem Weg zu Ihnen in öffentlichen Verkehrsmitteln andere anstecken?
Dieses Risiko ist bei der anderen Abklärungsstelle an der Charité, also in der Innenstadt, noch größer. Der öffentliche Verkehr nach Kladow ist deutlich verteilter, das Risiko geringer, als wenn jemand in der vollbesetzten U-Bahn ans Virchow-Klinikum fährt. Außerdem rechnen wir damit, dass die überwiegende Zahl der Ambulanz-Besucher mit dem eigenen Pkw kommt. Dafür haben wir einen extra Parkplatz eingerichtet.

[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Sind Sie auf einen großen Patientenansturm vorbereitet?
Wir rechnen am ersten Tag mit rund 100 Besuchern und auf Dauer mit täglich 40 bis 60. Dafür haben wir pro Schicht bis zu drei Ärzte geplant. Sollten es mehr werden, können wir kurzfristig zwei weitere Ärzte in die Ambulanz schicken. Wir haben dafür derzeit ausreichend Tests und Schutzausrüstung vorrätig.

Vor allem Atemschutzmasken sind ja momentan ein heiß begehrtes Gut.
Das Problem ist, wie die Menschen warten. In der Abklärungsstelle der Charité hat man jetzt gesehen, dass die Patienten dicht aufeinander stehend warten.

[Coronavirus-Ambulanz im Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe; Haus 16, Kladower Damm 221, Spandau, geöffnet Mo-Fr 9-20 Uhr, Coronavirus-Hotline der Klinik: 030/36501-7222]

Das kann natürlich die Übertragung von Viren begünstigen. Eigentlich müsste jeder mindestens zwei Meter voneinander entfernt stehen. Also könnte es sein, dass wir Atemschutzmasken, die ja eigentlich für das Personal gedacht sind, auch an Wartende ausgeben müssen – und dann könnte es mit unseren Vorräten eng werden.

Und leider wurden auch bei uns wie in anderen Kliniken Atemschutzmasken entwendet. In der vergangenen Woche wurden binnen vier Stunden auf unserer Intensivstation und Infektiologiestation mehr als 600 Masken gestohlen. Es ist eigentlich völlig unverständlich, wie in einer zivilisierten Welt so etwas passieren kann. Aber das ist ein Indiz für die Angst.

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