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Neue Flugrouten: Warum die Friedrichshagener zu Protestbürgern werden

Es ist ihnen egal, dass Maschinen nur bei Ostwind den Müggelsee überqueren sollen. Friedrichshagens Hausbesitzer fürchten außer dem Lärm auch den Werteverlust für ihre Immobilien.

Auf den Balkon von Ulrich S. brennt die Mittagssonne, eine Biene summt um den Lavendel, in den Bäumen singen Vögel. „Das Lauteste hier ist die Kaffeemaschine“, sagt er, als die fauchend einen Cappuccino ausspuckt. In der Parallelstraße zur Bölschestraße in Friedrichshagen hat der 45-jährige Lehrer mit seiner Familie Ruhe gefunden. Mit den neuen Flugrouten für den künftigen Flughafen BER könnte das vorbei sein, glaubt die Familie. Weil dann nämlich bei Ostwind täglich 122 Flugzeuge über ihren Balkon donnern. Wie so viele Menschen am Müggelsee fühlt S. sich getäuscht und engagiert sich nun bei der örtlichen Bürgerinitiative FBI. Die will vors Berliner Verwaltungsgericht ziehen. Sie sagen, die Deutsche Flugsicherung (DFS) habe bei der Routenplanung eine EU-Richtlinie zum Schutz von Naturschutzgebieten nicht berücksichtigt.

Drei solcher Flora-Fauna-Habitat-Gebiete gebe es in der Müggelseeregion, sagt der Familienvater: das Wasserwerk Friedrichshagen, Müggelsee und Müggelspree sowie das Teufelsseemoor. „Die Auswirkungen des Flugverkehrs und Lärms wurden bisher nicht geprüft“, sagt S. Eine Einschätzung des Umweltbundesamtes steht noch aus, die FBI will eine Überprüfung gerichtlich erzwingen. Die Ergebnisse der Überprüfung müssten in die Entscheidungsfindung mit einbezogen werden, sagt S. Denn die Fluglärmgegner glauben, dass bei der Routenplanung die EU-Richtlinie zur Erhaltung von natürlichen Lebensräumen von wild lebenden Tieren und Pflanzen nicht berücksichtigt wurde. Darin stehe, sagt S., dass FFH-Gebiete nur aus zwingendem öffentlichen Interesse und ohne vorhandene Alternativen überflogen werden dürfen. Und Alternativen zum Überflug des Müggelsees gebe es.

Eine sieht vor, entgegen den bisherigen Planungen keinen parallelen Flugbetrieb auf beiden Startbahnen durchzuführen. Dann sollten auch die Flugzeuge der nördlichen Startbahn nach Süden abknicken. „Die geplanten 360 000 Flüge wären realisierbar“, sagt S. Eine Doppelbelastung von Erkner aber will auch die FBI nicht. „Fachanwälte glauben, es gibt gute Chancen, die Flugrouten über den Müggelsee mit der Klage zu verhindern“, sagt Bernd Ebert, auch ein Routengegner.

Hauptproblem der Bürgerinitiative dürfte sein, dass die EU-Richtlinie bei der Planung von Luftverkehr gar nicht beachtet werden muss. Das behauptet DFS-Sprecherin Kristina Kelek. „Das Gesetz müssen wir nicht berücksichtigen. FFH-Gebiete sind bei der Routenplanung kein Ausschlusskriterium“, sagt Kelek. Die Gegner sind der Überzeugung, dass das Europagesetz in Deutschland nicht entsprechend gewürdigt werde. Am kommenden Montag wollen sie und die anderen Initiativen des Bündnisses Südost auf dem Friedrichshagener Marktplatz um 19 Uhr eine Reihe von Montagsdemonstrationen starten. „Alle sechs Minuten Flugzeuge über meinem Kopf will ich mir nicht antun“, sagt S. – auch, wenn das nur an 100 Tagen im Jahr der Fall sein würde. Denn nur an etwa einem Drittel der Tage im Jahr herrscht Ostwind, sagt die Flugsicherung. 122 würden dann täglich in einer Mindesthöhe von 1100 Metern über den Müggelsee fliegen. Der Kritik von Routengegnern, an windstillen Tagen hätten die Fluglotsen freie Wahl, widersprechen die Lotsen. Es gebe keine windstillen Tage, nicht einmal Stunden, sagt ein langjähriger Lotse. Die Abflugrichtung könne nie willkürlich gewählt werden. Richtig sei aber, dass der Wind an einem Tag drehen könne.

Das Überfliegen des Müggelsees war im Frühjahr in der Fluglärmkommission vom Vertreter des Kreises Oder-Spree vorgeschlagen worden. Ziel war es, Erkner, über das landende Maschinen hinwegdonnern, zu entlasten. Die Fluglärmkommission sprach sich dann aber doch für einen Geradeausflug nach dem Start aus. Gleichzeitig empfahlen die Mitglieder, Anwohner möglichst nicht mit An- und Abflügen zu belasten, so dass es zu widersprüchlichen Empfehlungen an die Flugsicherung kam. Diese entschied sich dann gegen die Doppelbelastung von Erkner und für das Überfliegen des Müggelsees – auch in der Annahme, dass die Route vorwiegend über Wälder und Wasser führen wird. Die Piloten müssen sich exakt an die Vorgaben halten. Eine Freigabe zur Kursänderung erhalten sie frühestens in einer Höhe von 5000 Fuß (1,5 Kilometer). Über dem Müggelsee, den sie mittig überqueren sollen, werden die Maschinen in der Regel erst 3500 Fuß (knapp 1,1 Kilometer) erreicht haben. Die Ideallinie führt nach Angaben der Flugsicherung dann westlich an Schöneiche vorbei und dreht bei Zielen im Westen auf der Höhe von Hoppegarten Richtung Ahrensfelde ab.

Lehrer Ulrich S. hofft auf einen Erfolg. In Friedrichshagen haben er, Ehefrau Ekaterina und die Zwillinge Aljosha und Sophia, 13, ihr Traumhaus gebaut. 500 000 Euro hat es sich die Familie mitsamt Grundstück kosten lassen. S. befürchtet nun einen massiven Wertverlust. Immobilienmakler rechnen mit bis zu 30 Prozent und ziehen den Vergleich mit Müggelheim. Mitte der 90er Jahre habe man dort für den teuersten Quadratmeter 480 Mark bezahlt, heute seien es 85 Euro, sagt Makler Michael Werner. Er ist noch einer jener, die an eine positive Entwicklung glauben.

Familie S. sieht das anders. Jahrelang hatte sie nach einem geeigneten Grundstück in der Gegend gesucht. Rahnsdorf und Erkner gefiel ihnen auch, sagt Ulrich S., doch die „Stoppt Schönefeld“-Plakate an den Gartenzäunen ließen sie Alternativen suchen. Sie fuhren zur Infobox am Flughafen Schönefeld und guckten auf die Karten mit den geplanten Flugbereichen. „Friedrichshagen war nirgends betroffen.“ Auch an seinem Gartentor hängt ein Protestschild. Die Familie erwägt einen Wegzug, sollten die Routen kommen. Aljosha und Sophia gehen in Erkner zur Schule, sie wollen lieber bleiben. Vor allem Sophia ist traurig. „Wir haben uns gerade eingelebt“, sagt sie.

Ulrich S. ist überzeugt: Wäre die Müggelseeroute früher als Möglichkeit in Betracht gezogen worden, hätten die Leute schon vor Jahren demonstriert. „Dann wäre Sperenberg der Flughafen.“

Auch Janko Winkler, 27, und Melanie, 28, haben in Friedrichshagen gebaut; seit November ist das Haus in der Möllenseestraße fertig. „Weil wir kaum Ersparnisse hatten, haben wir Haus und Grundstück mit Krediten finanziert“, sagen sie. Nun haben sie Angst vor einem Wertverlust und befürchten sogar Kreditunwürdigkeit. „Hätten wir über die jetzigen Planungen Bescheid gewusst, wären wir nicht hierhergekommen.“

Die Geschichten vieler Menschen am Müggelsee ähneln sich. Jens Vogt aus Friedrichshagen wollte bewusst im Ort bleiben und hat letztes Jahr ein 600 Quadratmeter-Grundstück erworben für etwa 250 Euro pro Quadratmeter. „Wenn wir Frankfurter Verhältnisse bekommen, ziehen wir weg.“ Auch Anwohnerin Anna Schmitt vertraute den alten Plänen, die an der Infobox in Schönefeld aushingen, und kaufte vor drei Jahren eine Eigentumswohnung. „Die Wohnung sollte eine Wertanlage sein für die Altersfürsorge.“

Konrad Kobel ist bereits ein Flugroutenflüchtling. Als in den 90er Jahren Sperenberg als favorisierter Flughafenstandort galt, habe er sich 1995 in Müggelheim ein Grundstück gekauft. Als dann der Ausbau von Schönefeld beschlossen wurde, zog er weg und verkaufte – mit 90 000 Euro Verlust. Vor drei Jahren dann fand er ein Grundstück auf der gegenüberliegenden Seeseite in Friedrichshagen und baute erneut. „Seit der Standortdiskussion wurde die Öffentlichkeit bewusst getäuscht“, sagt Kobel. Er denkt bereits über den nächsten Umzug nach.

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