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Nutzt ihre Lebenserfahrung. Die Pfarrerin Stefanie Sippel, 37.

© Thilo Rückeis

Neue Pfarrerin für Osterkirche: "Welt retten? Macht Gott!"

Die frisch ordinierte Pfarrerin Stefanie Sippel arbeitet seit zwei Monaten in der Ostergemeinde im Weddinger Sprengelkiez. "Ein bisschen wie auf der Arche Noah", sagt sie. Ein Porträt.

Jetzt wird es ernst. Stefanie Sippel streift den Talar über, legt das Beffchen um und prüft, ob der Pony richtig sitzt. Gemeinsam mit 22 anderen Pfarrerinnen und Pfarrern und zwei Gemeindepädagoginnen zieht sie zu den Orgelklängen von Bachs Präludium in C-Dur in die Marienkirche am Alexanderplatz ein. Sie alle werden heute offiziell in den Kirchendienst übernommen. „Das Pfarramt ist für mich immer noch eines der schönsten, die es gibt“, sagt Landesbischof Markus Dröge in seiner Predigt vor rund 900 Gottesdienstbesuchern.

Noch vor zehn Jahren hätte die 37-jährige Stefanie Sippel sich nicht vorstellen können, eines Tages hier zu stehen. Erst mit 30 Jahren beschloss sie, Pfarrerin zu werden und hat das seitdem nicht mehr infrage gestellt. Bis dahin lehnte sie den Gedanken jedoch vehement ab. „Die Kirche blieb mir auch nach meiner Taufe fremd, weil ich kirchenfern aufgewachsen bin“, sagt sie. Da schien sie nicht dazuzugehören.

Gläubig war sie aber schon, machte einen Magister-Abschluss in Theologie und Nordamerika-Studien und schrieb eine Doktorarbeit fast zu Ende. Sie probierte sich spirituell aus, bei den Baptisten, in der Gemeinschaft von Taizé und in der Studierendengemeinde. Eines Tages wurde ihr klar, dass sie als Pfarrerin die Kirche entscheidend gestalten und verändern könne.

Wie auf der Arche Noah

Seit zwei Monaten arbeitet sie nun in ihrer Entsendungspfarrei, der Ostergemeinde in Wedding. „Es ist ein bisschen wie auf der Arche Noah hier“, sagt die in Goslar aufgewachsene Pfarrerin, „das ist genau die Vielfalt, nach der ich mich sehne.“ Es gebe neben den jungen Erfolgreichen, die gerade herziehen, viele Arbeitslose und arme Menschen dort. Die kämen nicht unbedingt zu den Gottesdiensten, aber zu den Andachten der „Laib und Seele“-Essensausgabestelle der Kirche oder zu Konzerten.

Ob sie gewappnet sei, Menschen in schweren Lebenssituationen beizustehen? „Ich mochte schon immer die existenziellen Fragen“, sagt Stefanie Sippel, „aber auch aufgrund meiner Lebenserfahrung kann ich das.“ Sie hat zwei Kinder großgezogen und eine Scheidung bewältigt. Auch das Selbstbewusstsein, das man für den Pfarrberuf braucht, habe sie erst nach und nach erlangt. Sie sei früher im Hintergrund geblieben – aber inzwischen stehe sie gern vor Menschen. Der Beruf habe sehr viel mit Performance zu tun, nicht nur im Gottesdienst, sondern auch in den unterschiedlichen Rollen als Seelsorgerin und Gemeindeleiterin. „Ich fühle mich frei zu sein, wie ich bin und noch mehr zu werden, wie ich sein möchte“, sagt Sippel. Das sei so in keinem anderen Beruf möglich.

Eine Gemeinde ist fast wie ein Unternehmen

Eine Gemeinde zu leiten sei auch wie ein kleines Unternehmen zu führen. Das sei zwar nicht einfach, doch sie habe Strategien entwickelt, um sich vor Belastungen zu schützen: indem sie sich nicht so ernst nehme und viel lache. „Ich muss nicht die Welt retten“, sagt sie, „das erledigt Gott.“ Sie wolle vielmehr den Menschen helfen, sich selbst anzunehmen und die unterschiedlichsten Leute zusammenbringen.

Ob sie nervös ist? „Ein bisschen“, sagt sie, wirkt aber souverän und gelassen. Der aufregendste Moment sei gewesen, als der Personalchef ihr sagte, dass sie genommen werde. Der heutige Gottesdienst sei wie die große Party danach. „Außerdem denke ich, dass ich das gut kann und fühle mich von Gott auf eine seltsame Weise getragen.“

Dieser Artikel erscheint im Wedding-Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegel.

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