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Veränderung auf dem RAW-Gelände.

© dpa

Neue Pläne für das RAW-Gelände: Ausweitung der Kampfzone

Das Friedrichshainer RAW-Gelände ist bekannt für Party und Kriminalität. Nun sollen Bürger entwerfen, wie sich das Gelände verändern kann.

Das Astra Kulturhaus ist voll besetzt. Auf dem Boden liegt eine 30 Quadratmeter große Luftaufnahme des RAW-Geländes, kurz für Reichsbahn-Ausbesserungs-Werk. So hat man das bekannte Friedrichshainer Party-Gelände an der Revaler Straße selten gesehen. Auf der Pappe stehen Modellbauten, Bäume, blaue und graue Styroporklötze. Ein Architekturwettbewerb? Der endgültige Bauentwurf ist das nicht, trotzdem schieben die Gäste die Modellbauten an diesem Abend rege hin und her. Die Aktion wird live gefilmt und an die Wand projiziert.

Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg hat am Dienstag letzter Woche zur ersten RAW-Dialogwerkstatt eingeladen, zwei weitere werden folgen. Das Ganze heißt: Bürgerbeteiligung. Die Gäste sollen mitbestimmen wie sich das schmuddelige Gelände verändern soll. Moderiert wird die Veranstaltung vom Studio Urban Catalyst, Geschäftsführer Klaus Overmeyer fragt die Gäste nach ihren Erwartungen: „Platz für Freiraum“, „Frischluft“, „weniger Scherben“ oder „zukunftsweisende Technologien“, sind einige Stimmen aus dem Publikum.

4000 Menschen kooperieren an Zirkus- und Musikprojekten

Die Akteure, die hier zukünftig miteinander kooperieren sollen, werden vertreten von Fränze Kellig und Joest Schmidt. Sie gehören dem Zusammenschluss „RAW Kultur L“ an, 4000 Menschen aus unterschiedlichen Projekten wie Zirkus, Skating oder Musik. Auch der Eigentümer Hans-Rudolf Kurth ist gekommen. Der Göttinger Kurth Gruppe gehört mit 5,2 Hektar der Löwenanteil des insgesamt rund 7 Hektar großen Geländes. „Eigentümer, Nutzer und Verwaltung sollen sich auf Augenhöhe begegnen können“, sagt Baustadtrat Florian Schmidt. Dafür müssten gegebenenfalls auch „neue Rollenverständnisse geklärt werden“, um unterschiedlichen Interessen wie Freifläche, Kultur und Gewinn zu .

Das, was im Astra Kulturhaus passiert, ist kein gängiges Bürgerbeteiligungsverfahren. Im Baugesetzbuch vorgeschrieben ist dafür lediglich das frühzeitige Informieren der Bürger: Planungsentwürfe werden (normalerweise) einen Monat ausgelegt und Änderungswünsche in der Bezirksverordnetenversammlung abgestimmt. Informationen finden Bürger auch online auf mein.berlin.de. Die Plattform ist allerdings nicht ganz vollständig und sei vielen Menschen gar nicht bekannt, teilte das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg auf Anfrage mit.

Teilhabe oder Beteiligung?

Zukunftsorientierte Prozesse wie die RAW-Dialogwerkstatt sollen daher dafür sorgen, dass Bürgerbeteiligung auf mehr Resonanz stößt. Die beteiligten Bürger nennen sie lieber „Teilhabeverfahren“, ihre Betonung liegt auf dem „aktiven Mitgestalten“. Für solche aufwendigen Teilhabeverfahren existieren in Berlin noch keine einheitlichen Leitlinien, auf denen aufgebaut werden kann. Diese sollen ab dem 19. März von Vertretern der Politik, der Verwaltung und der Zivilgesellschaft erarbeitet werden.

Bis dahin handeln die Bezirke ihre Kooperationsbasis selbst aus. So arbeitet beispielsweise Lichtenberg an einem eigenen Leitfaden zur Bürgerbeteiligung. Der erste Teil für Politik und Verwaltung ist schon fertig, der zweite Teil soll fortlaufend mit Erfahrungen von Bürgern ergänzt werden. Eine andere Lösung für mehr Resonanz wäre zudem eine entsprechende personelle Infrastruktur in der Verwaltung: Der Bezirk Lichtenberg ist da Vorreiter – mit Henning Wolff hat der Bezirk einen Bürgerbeteiligungs-Referenten.

Keine Erwartungen wecken, die nicht erfüllt werden können

Doch der Grad zwischen Bürgerbeteiligung und Teilhabe ist schmal. In Lichtenberg scheiterte der Dialog im letzten Jahr bei zwei von drei runden Tischen, sagt Benjamin Hudler (CDU) dem Tagesspiegel. Bei einer der fehlgeschlagenen Diskussionen ging es um die Bebauung der Innenhöfe im Ilse-Kiez, Stadtteil Karlshorst. Es führe zu Verdruss, wenn den Bürgern versprochen werde, sie könnten mitgestalten und dann sei es gesetzlich (gegenüber den Eigentümern) gar nicht umsetzbar, meint Hudler. So sagte das auch die Stadträtin für Stadtentwicklung, Birgit Monteiro (SPD) bei der „Nacht der Politik“ im Lichtenberger Rathaus: „Bürgerbeteiligung soll keine Erwartungen wecken, die nicht erfüllt werden können.“ Genau diese Erwartungen seien mit den runden Tischen rund im die Ilsestraße aber geweckt worden und dann habe Monteiro für die Bebauung gestimmt, so Hudler.

Geschichten über das RAW erzählen

Im Astra sammelt dagegen eine „Zukunftsschreiberin“ die Erwartungen der Bürger in Form von Geschichten, die über das Gelände erzählt werden könnten. An sieben Stationen steht jeweils ein Vertreter von Urban Catalyst, moderiert und sammelt Ideen für 2040: Welche Gebäudeformen, Nutzungen und Werte passen zum Areal?

Eintauchen in die Stadt. Die Clubs auf dem RAW-Gelände gehören bei den Mitgliedern der Facebook-Gruppe „Neu in Berlin“ zu den beliebtesten Treffpunkten.
Eintauchen in die Stadt. Die Clubs auf dem RAW-Gelände gehören bei den Mitgliedern der Facebook-Gruppe „Neu in Berlin“ zu den beliebtesten Treffpunkten.

© Kai-Uwe Heinrich

Trennscharfe Ergebnisse aus den „Zukunfts-Stationen“ gibt es noch nicht, viele Ergebnisse tauchen wiederholt auf oder sind noch nicht greifbar genug. Aber die Tische und Wände sind voller bunter Klebezettel – die Bürger machen mit. „Durch das Modell habe ich jetzt ein anderes Raumgefühl und bin beruhigt, dass es doch so viel Platz für Grünflächen gibt“, sagt Carola Ludwig, Gründerin des „RAW-Tempels“. Der Eigentümer Kurth hingegen möchte das Gelände auch wieder „dahin bringen, wo es mal war: zum Leuchtturmcharakter.“ Bis diese Wünsche und Interessen einen Konsens bilden, ist also noch viel zu tun.

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