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Berlin: Neue Untersuchungen: Ost und West gehen sich möglichst aus dem Weg

Eigentlich hat sich der S-Bahnhof Wollankstraße nicht sonderlich verändert. Ein bisschen neue Farbe hat die Station bekommen und ein paar neue Hinweisschilder.

Eigentlich hat sich der S-Bahnhof Wollankstraße nicht sonderlich verändert. Ein bisschen neue Farbe hat die Station bekommen und ein paar neue Hinweisschilder. Ansonsten sieht alles so aus, als ob die Züge noch heute durchs alte Grenzland zwischen Pankow und Wedding führen. Beiderseits der Strecke stehen abgewandte Häuserfassaden, der Hauptausgang des Bahnhofs führt in Richtung Westen. Die S-Bahn teilt die Gegend noch immer in zwei Hälften - in Ost- und West-Berlin. "Die Bewohner auf beiden Seiten des Bahnhofs sind sich fremd geblieben", stellt Joachim Scheiner fest.

Der Dortmunder Soziologe hat die Bewohner der Wollankstraße zu ihren Nachbarschaftskontakten befragt und deren Befindlichkeiten erforscht. Am Mittwochabend stellte Scheiner seine Erkenntnisse auf Einladung der Ebert-Stiftung im Hotel am Ostbahnhof vor. Ergebnis: Die Berliner in Ost und West bleiben lieber auf ihrer Seite.

Einen Unterschied hat Scheiner immerhin festgestellt: Ost-Berliner halten sich häufiger im Westteil auf als umgekehrt. Ein markantes Beispiel sind die Bewohner der einstmals geteilten Harzer Straße, Schnittstelle zwischen Neukölln und Treptow. Hier nehmen sich die Nachbarn völlig unterschiedlich wahr. Die Treptower etwa gehen gerne in Neukölln einkaufen, während für Neuköllner "die Supermärkte im Osten gar nicht existieren". So wird der ehemalige Mauerstreifen zur unsichtbaren Mobilitätsgrenze.

Hartmut Häußermann, Stadtsoziologe an der Humboldt-Universität, bestätigt dieses Bild. Er hat die Umzüge von Berlinern innerhalb der Stadt untersucht. Fazit: Nur etwa zehn Prozent der Umzügler suchen sich eine neue Wohnung in der anderen Stadthälfte. Dabei ist der Strom aus Richtung Osten stärker, vor allem die Plattenbezirke am östlichen Stadtrand verlieren Einwohner an den Westen. Wer es sich leisten kann, zieht in vornehmere Gegenden wie Spandau, Zehlendorf oder Steglitz. Den größten Schwund verzeichnet Marzahn mit mehr als 7000 Abwanderern. Gewinner auf östlicher Seite sind Prenzlauer Berg, aber auch Treptow und Pankow.

Die grünen Bezirke am Stadtrand locken auch West-Berliner an. Mit neuen Quartieren am Wasser und am Waldrand konnten beide Bezirke je 5000 Einwohner hinzugewinnen. Insgesamt bleibt die Scheu der Umzügler aber groß. Häußermann: "Die Kategorien Ost und West bestimmen weiterhin den Alltag." Das gilt vor allem für Bewohner der westlichen Bezirke. Sie meiden den Osten - nur 50 000 pendeln dorthin zur Arbeit. Dagegen ist die Zahl der Ost-Berliner Pendler in den Westen drei Mal so hoch.

Trotzdem haben die Soziologen noch Hoffnung für eine zusammenwachsende Stadt. Dabei setzen sie auf Neu-Berliner aus dem Bundesgebiet. Familien mit Kindern und ältere Generationen bevorzugen zwar weiterhin Westbezirke, doch jüngere Beamte und Abgeordnete zieht es mehrheitlich nach Mitte und Prenzlauer Berg. Im Grunde, sagt Häußermann, haben sich in Berlin drei Städte entwickelt: das alte West-Berlin, das alte Ost-Berlin und die neue Mitte, in der Herkunft kaum noch eine Rolle spielt.

Wie groß die Anziehungskraft des bunten Stadtkerns ist, bewies ein Zwischenruf von Ann Schäfer aus Steglitz. Die 65-jährige Filmemacherin fährt abends nur noch in den Osten. Dort besucht sie die Volksbühne, geht auf alten Fabrikhöfen tanzen oder macht einen Kneipenbummel durch Friedrichshain. "Im Osten tobt das Leben", sagt Schäfer begeistert, "im Westen ist es noch so langweilig und miefig wie in den Achtzigern."

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