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Berlin: Neue Wege

Bunker-Touren, Szene-Trips oder Multimedia-Busfahrten – Stadtführer bieten Berlinern und Touristen eine einzigartige Vielfalt

Aus Rissen in der Decke wachsen fingerdicke Stalaktiten. Der Strahl der Taschenlampe verliert sich in den Abgründen von Treppenhäusern. Die Brillengläser beschlagen, man fröstelt im Inneren dieses Monstrums wie im Kühlhaus, obwohl draußen die Hitze flirrt. Dreißig abenteuerlustige Berliner steigen hinter drei Meter dicken Mauern hinab in die Unterwelt. Robuste Jacken haben sie an und feste Schuhe. Sie erforschen den einstigen Flakbunker im Humboldthain und erleben eine der ungewöhnlichsten und begehrtesten Stadtführungen durch Berlin. Der „Verein Berliner Unterwelten“ hat diese Tour organisiert und liegt im Trend: Spezialführungen mit besonderen Themen, oft hinter die Kulissen der Stadt, sind begehrter denn je – besonders bei Berlinern.

Das zeigen schon die Zahlen. Seit 2001 bietet der Verein, dessen Mitglieder Berlins Untergrund systematisch erforschen, regelmäßige Führungen an. Damals erlebten rund 3000 Neugierige die ersten Touren durch frühere Tiefbunker, ungenutzte U-Bahntunnel und andere Bauwerke im Bauch der Stadt. Drei Jahre später kamen 40 000 Gäste. „Es ist ein unglaublicher Boom“, sagt Vereinssprecher Holger Happel. „Vor allem, seit wir 2004 den Flakbunker im Weddinger Humboldthain erstmals öffneten.“

Vierzig Meter ist er hoch und nahezu komplett unter der Humboldthöhe verborgen, die in den Nachkriegsjahren aus Trümmerschutt um ihn herum aufgeschüttet wurde. Monatelang haben die Vereinsaktiven gearbeitet, um dieses Monstrum sieben Stockwerke tief wieder begehbar zu machen. Aber die Ackerei hat sich gelohnt. Nun geben sie hier „lebendigen Geschichtsunterricht“.

Solche Rundgänge vermitteln intensivere Eindrücke als das touristische Pflichtprogramm. Deshalb nehmen sie auch bei Berlins größter Agentur für Stadtführungen längst die meisten Seiten im Angebot ein. „Stattreisen“ heißt das 1983 gegründete Unternehmen, denn schon damals wollte man die Berliner animieren, „ihre eigene Stadt zu erkunden, anstatt zu verreisen“, so Geschäftsführer Andreas Liesinger. „Wir setzen auf die wachsende Entdeckungslust in der eigenen Stadt“, sagt er. Deshalb veranstalten „Stattreisen“ und andere Anbieter beispielsweise in Mitte Spaziergänge durchs Preußische oder Jüdische Berlin, Rundgänge zu Literaturschauplätzen, zu den traditionsreichen Theatern oder durch die Geschichte der DDR, teils entlang des ehemaligen Grenzstreifens. Begehrt sind auch Kiezführungen durch Szeneviertel in Kreuzberg, Prenzlauer Berg oder Schöneberg – sowie der jüngste Spross im Programmheft: Kindertouren. Sie führen bei Stattreisen beispielsweise „Vor und hinter der Mauer“ durch die einst geteilte Stadt.

Auch die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) bieten Spezialführungen an, beispielsweise mit ihren Doppeldeckerbussen durchs Jüdische Berlin oder nächtliche Wanderungen und Fahrten im Caprio-Schienenwagen durch die U-Bahntunnel. „Bei diesen Untergrund-Touren rennen uns die Leute die Bude ein“, sagt BVG-Sprecherin Petra Reetz. „U-Bahnfreaks aus der ganzen Republik kommen nach Berlin.“

Das deckt sich mit den Erfahrungen der regionalen Tourismus Marketing GmbH, die besonders bei jungen Berlin-Besuchern und Berlinern eine starke Nachfrage nach Touren für spezielle Interessen feststellt. Vor einem Jahr hat „Berlin on Bike“ mit sechs deutschsprachigen und drei englischsprachigen Radtouren durch Berlin begonnen. „Zu uns kommen Touristen, die Radtouren als Alternative zu Busrundfahrten nutzen“, sagt Stadtführer Gunar Jäkel. Letztes Jahr hat Berlin on Bike 3000 Personen durch die Stadt geführt, 2005 sind es schon jetzt so viele.

Auch Eberhardt Elfert, der seit über 20 Jahren im Stadtführergeschäft ist, sieht bei seinen Kunden eine deutlich veränderte Erwartungshaltung: „mehr Informationen, weniger Unterhaltungswert und ein relativ hohes Niveau“. Daher stellt er häufig Historiker und Kunstgeschichtler als Führer ein – denn die Fragen der Touristen werden nicht leichter.

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