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Kein Event ohne Harry. 1960 fotografierte Harry Croner die John-Tiller-Girls vorm Sportpalast.

© Repro: Tsp

Neuer Bildband: Bühne West-Berlin 1946 bis 1988: Harry Croner - ein Fotograf für alle Fälle

Harry Croner war immer dabei. Vier Jahrzehnte lang entging dem Bildjournalisten nichts in West-Berlin. Er beobachtete mit der Kamera das reichhaltige Leben seiner geliebten Stadt. Ein Fotoband dokumentiert nun sein Werk.

Zu ihm fasste selbst Klaus Kinski Vertrauen. Ein kleines Wunder. Normalerweise ließ der exzentrische Schauspieler keinen Bildjournalisten in seine SechsZimmer-Wohnung an der Uhlandstraße. Doch Harry Croner durfte ihn 1960 zu Hause fotografieren, nachdem Kinski gerade mit seiner neuen Flamme zusammengezogen war: Ruth Brigitte Tocki, in die er sich im Jazzklub „Eierschale“ verliebt hatte. Eine ganze Bilderserie fotografierte Croner – ein Dokument der Zeitgeschichte, wie die meisten seiner unzähligen Aufnahmen aus den Jahren 1946 bis 1988. Croner hat als Pressefotograf das Leben seiner Heimatstadt von den Trümmertagen bis fast zur Wende in allen Facetten abgelichtet. Grenzenlos bis zum Mauerbau, danach war seine Bühne West-Berlin.

Durchgeknalltes Trio: Brigitte Grothum, Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller 1956 in der „Komödie“ im Stück „Keine Angst, sie kriegen Dich“.
Durchgeknalltes Trio: Brigitte Grothum, Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller 1956 in der „Komödie“ im Stück „Keine Angst, sie kriegen Dich“.

© Repro: Tsp

„Croners Nachlass ist fantastisch“, sagt Bärbel Reißmann von der Sammlung der Stiftung Stadtmuseum. 100 000 Abzüge gehören dazu und 1,3 Millionen Negative. Ein Schatz, den er 1988, vier Jahre vor seinem Tod, dem Land Berlin vermachte. In den vergangenen Jahren hat die Stiftung sein Werk aufgearbeitet und dessen überraschende Vielfalt entdeckt. Die aktuelle Ausstellung im Ephraim-Palais „West:Berlin – eine Insel auf der Suche nach Festland“ profitiert davon, etliche ihrer Illustrationen hat Croner geschaffen. Zusätzlich ist nun ein Fotoband mit einer ganzen Galerie seiner Bilder erschienen, darunter die Begegnung mit Klaus Kinski.

Harry Croner wurde 1903 in Berlin geboren, eröffnete 1933 sein Geschäft „Foto-Croner“ in Wilmersdorf. 1943 deportierten ihn die Nazis in ein Arbeitslager, weil sein Vater Jude war. Er überlebte – und beobachtete nach dem Krieg mit seiner Rollei die Berliner beim Wiederaufbau ihrer zerstörten Stadt. So begann Croners Karriere als freier Fotojournalist. Seine Bilder erschienen im Tagesspiegel, im „Abend“ und anderen lokalen oder überregionalen Blättern.

Kaum ein Ereignis und kein populärer Berliner oder Besucher entging Croners Kamera. Alljährlich war er bei der 1951 gestarteten Berlinale ganz vorne dabei, doch er wurde auch nicht müde, jede neue Inszenierung von Berliner Bühnen festzuhalten. Da grinst Günter Pfitzmann 1952 im Kabarett „Greifi“ aus dem Rachen eines Pappmaché-Nilpferds, das ihn soeben verschlungen hat. Da posiert Tilla Durieux 1963 in der Freien Volksbühne als Bäuerin, verfolgt Günter Grass 1966 im Schiller-Theater gespannt die Proben für sein Stück „Die Plebejer proben den Aufstand“. Ilja Richter, damals Kinderstar, spielt 1963 zusammen mit Schnodderschnauze Edith Hanke. Und Dieter Hallervorden feixt 1976 im Stück „Kichererbsen“ bei den Wühlmäusen genauso hinreißend wie heute.

„Pack die Badehose ein“-Star Conny Froboess am Mikro 1959.
„Pack die Badehose ein“-Star Conny Froboess am Mikro 1959.

© Repro: Tsp

Aber auch vom berühmten Prozess gegen die Gladow-Bande 1950 in Ost-Berlin brachte er eine Reportage mit. Er fotografierte den Wiederaufbau der Reiterstatue des Großen Kürfürsten vor dem noch teils zerstörten Charlottenburger Schloss 1951, die Wahl der Miss Wannsee 1952, die 100 000. Sendestunde des US-Senders AFN im Amerikahaus 1960. Er porträtierte John Heartfield 1966 im Europa-Center vor dessen dadaistischen Werken, verfolgte Avus- und SechsTage-Rennen, blickte in die Honkong-Bar am Ku’damm, brachte 1955 berührende Bilder vom Aufnahmelager Friedland mit, wo unter den letzten Kriegsheimkehrern auch Berliner waren. Erstmals nahmen sie hier ihre Frauen wieder in die Arme.

Seifenkistenrennen am Mehringdamm 1951. Kurt Warncke gewann damals im Tagesspiegel-Flitzer den Deutschen Meistertitel.
Seifenkistenrennen am Mehringdamm 1951. Kurt Warncke gewann damals im Tagesspiegel-Flitzer den Deutschen Meistertitel.

© Repro: Tsp

In der Drakestraße in Lichterfelde-West hatte Harry Croner ein Atelier. Willy Brandt ließ sich dort porträtieren, auch Musicalstar Angelika Milster und andere Künstler. „Sie schätzten Croners Charme, Neugier und Seriosität“, sagt Bärbel Reißmann. Der Fotograf war kein Paparazzo, er wollte den Menschen vor seiner Kamera gerecht werden.

Infos zum Buch, zum digitalisierten Harry Croner Archiv und einer Ausstellung im Märkischen Museum:
Bühne West-Berlin. Fotografien von Harry Croner aus vier Jahrzehnten. Verlag M, Berlin. 287 Seiten, 300 Abbildungen, 29,90 Euro. 8000 Fotos von Croner findet man digitalisiert unter: www.stadtmuseum.de (Sammlung online). Vom 28. Februar bis 28. Juni folgt im Märkischen Museum eine Ausstellung zu Croners Schaffen.

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