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Bayer hat seine Pharma-Aktivitäten mit der Übernahme des Berliner Wettbewerbers Schering im Jahr 2006 an der Müllerstraße im Berliner Stadtteil Wedding konzentriert - 2019 aber Stellenstreichungen angekündigt. Nun gibt es Hoffnung für das forschende Personal.

© Kai-Uwe Heinrich

Neuer Campus in Berlin-Wedding: Bayer-Konzern sichert Hunderte Forscherjobs

Der Bayer-Konzern steht unter starkem Spardruck, hat aber offenbar einen Weg gefunden, um mehrere Hundert Jobs in Berlin zu retten.

Man habe mit dem Pharmaforschungsdienstleister Nuvisan die Übernahme eines großen Teils seiner in Berlin ansässigen Forschung auf dem Gebiet kleinmolekularer Wirkstoffe vereinbart, teilte die Pharma-Sparte des Bayer-Konzerns am Dienstagvormittag in Berlin mit. Es gehe um den Aufbau eines komplett ausgestatteten Forschungszentrums mit rund 400 Arbeitsplätzen.

Die Nuvisan Gruppe sei ein internationaler Dienstleister im Bereich der klinischen Studien, Labordienstleistungen und der Auftragsfertigung für die pharmazeutische Industrie und betreibe mehrere Standorte und Kliniken in Deutschland und Frankreich, hieß es in der schriftlichen Erklärung. Und: "Die strategische Partnerschaft legt den Grundstein für einen brandneuen Forschungsstandort von Nuvisan in Berlin".

Das ist formal sicher richtig und soll offenbar ausdrücken, wie sehr Feuer und Flamme die beiden Industriepartner für den traditionsreichen Pharmastandort Berlin sind. Gleichwohl wird dieser "brandneue" Forschungsstandort in bereits existierenden Gebäuden des traditionsreichen Schering-Areals entlang der Müllerstraße im Berliner Stadtteil Wedding liegen, das Bayer 2006 mit der Übernahme des einzigen Berliner Dax-Konzerns zugefallen war. Auch werden dort nicht "unter dem Strich" 400 neue Stellen geschaffen. Ein Großteil - wenn auch nicht alle - der 400 Mitarbeiter werden aus der bestehenden Bayer-Belegschaft rekrutiert, stellte eine Sprecherin auf Nachfrage klar.

Der Chemie- und Pharmakonzern mit Zentrale in Leverkusen in NRW steht seit der Übernahme des amerikanischen Saatgutherstellers Monsanto für umgerechnet 63 Milliarden Euro unter enorm hohen Kostendruck, da zahlreiche Klagen von Kunden anhängig sind. Diese behaupten, sie seien von Monsanto über die Jahre nicht über mögliche Gesundheitsrisiken bei Verwendung eines Pflanzenschutzmittels aufgeklärt worden.

Im April 2019 reagierte Bayer auf diese juristische und finanzielle Bedrohung mit der Ankündigung, weltweit rund 12.000 Stellen abzubauen, rund 4500 davon in Deutschland. Wie viele davon auf den großen Standort Berlin mit seinen noch rund 5200 Arbeitsplätzen entfallen, hatte das Unternehmen nicht kommuniziert, aber erklärt, dass der Stellenabbau sozialverträglich und ohne betriebsbedingte Kündigungen vollzogen werden soll. Vor diesem Hintergrund ist die Entsendung von Mitarbeitern an die neue Forschungseinheit vornehmlich als Jobsicherungsmaßnahme zu verstehen.

Auch stärkte Bayer den Standort Berlin im vergangenen September durch den Baustart für eine Produktionsanlage für rund 100 Millionen Euro, die gleichwohl hochgradig automatisiert sein soll - 13 japanische Roboter sollen Mitarbeitern monotone Tätigkeiten abnehmen, hieß es damals.

Berlins soll Bayers Pharma-Hauptsitz bleiben

Das Forschungszentrum verfüge über Fähigkeiten und Kapazitäten, die sich über die gesamte Wertschöpfungskette der Wirkstoffforschung erstrecken, einschließlich Leitstruktur-Entwicklung, Medizinischer Chemie, Pharmakologie, Wirkstoffmetabolismus und Pharmakokinetik, Toxikologie und Tiermanagement, hieß es in der Mitteilung weiter. Bayer behalte in Berlin seine übrigen, bedeutenden Forschungsaktivitäten und seinen Hauptsitz der Pharmasparte bei, sodass Berlin einer seiner weltweit wichtigsten Forschungsstandorte bleibe, stellte der Konzern klar.

Dietrich Bruchmann, Inhaber der 1979 gegründeten Nuvisan-Gruppe mit Zentrale im schwäbischen Neu-Ulm warb am Dienstag vor der Bayer-Belegschaft für das neue Projekt. Sein mittelständisches Unternehmen Nuvisan hat den Umsatz zuletzt um rund 20 Prozent pro Jahr gesteigert auf rund 55 Millionen Euro. Auch wegen dieses dynamischen Wachstums bei dem Partner sei nicht ausgeschlossen, dass künftig mehr als die angekündigten 400 Stellen in Berlin entstehen, hieß es in Bayer-Kreisen.

Das einst vom Pharmakonzern Schering errichtete Hauptgebäude an der Müllerstraße im Wedding. Dahinter liegt ein großes Areal, auf dem der Bayer-Konzern heute mehr als 5000 Personen beschäftigt.
Das einst vom Pharmakonzern Schering errichtete Hauptgebäude an der Müllerstraße im Wedding. Dahinter liegt ein großes Areal, auf dem der Bayer-Konzern heute mehr als 5000 Personen beschäftigt.

© Doris Spiekermann-Klaas

"Mit diesen neuen Kompetenzen und Kapazitäten auf dem Gebiet der Wirkstoffforschung können wir nicht nur ein leistungsstarkes Expertenteam begrüßen, sondern erhalten auch Zugang zu erstklassigem Fachwissen und Technologien“, ließ Nuvisan-Chef Bruchmann schriftlich erklären.

Jörg Möller, der Leiter Forschung und Entwicklung bei Bayers Pharma-Sparte, sagte laut Pressemitteilung: „Mit Nuvisan haben wir einen exzellenten Partner gefunden, der in Berlin eine starke, alle Gewerke umfassende Forschungseinheit zusammen mit unseren engagierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aufbauen wird". Die Firma teile Bayers Vision, dass das neue Forschungszentrum mit dem gemeinsamen Know-how und den Fähigkeiten der hochqualifizierten Experten zu einem "wichtigen Akteur bei Kollaborationen in der Pharmaforschung" werden könne.

Landesregierung begrüßt den Schritt

Auch in der Berliner Politik wurde das Projekt begrüßt. „Wieder gibt es gute Nachrichten für die Wissenschafts- und Forschungsmetropole Berlin", sagte Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), der zugleich Senator für Wissenschaft und Forschung ist. Ein neues Forschungszentrum mit 400 Arbeitsplätzen sei eine starke Unterstützung für die Gesundheitsstadt. "Ich freue mich, dass sich die Nuvisan-Gruppe für den Standort Berlin entschieden hat und bin sicher, dass ihr auf dem Bayer Forschungs- und Entwicklungs-Campus eine optimale Fläche für ihre Aktivitäten vermittelt wurde." In der Kooperation mit dem Bayer-Konzern zeige sich auch, dass strategische Partnerschaften zu gemeinsamen Erfolgen führen.

September 2019: Stefan Oelrich, Vorstandsmitglied der Bayer AG und Leiter der Pharmasparte (links), Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (Mitte) und Wolfram Carius, Leiter Pharmaceuticals Product Supply bei Bayer starten per symbolischem Knopfdruck den Bau für eine robotisierten Produktionsanlage bei Bayer.
September 2019: Stefan Oelrich, Vorstandsmitglied der Bayer AG und Leiter der Pharmasparte (links), Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (Mitte) und Wolfram Carius, Leiter Pharmaceuticals Product Supply bei Bayer starten per symbolischem Knopfdruck den Bau für eine robotisierten Produktionsanlage bei Bayer.

© Bayer AG

Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) kommentierte die Nachricht so: "Diese Entscheidung zeigt, dass Berlin ein Top-Standort der Gesundheitswirtschaft ist". Sie deute den Schritt als "klares Bekenntnis zum Standort Berlin" von Bayer. "Mit einem neuen Partner sollen die Arbeitsplätze erhalten bleiben und ein neuer Forschungsstandort aufgebaut werden. Es ist gut, dass der Bayer-Standort im Herzen Berlins nun fit für die Herausforderungen der Zukunft gemacht wird, das Land Berlin wird Bayer dabei unterstützen“, kündigte die Senatorin an.

„Bayer stellt sich im globalen Gesundheitsmarkt fokussierter und agiler auf", lautete die Interpretation von Stefan Franzke, dem Geschäftsführer der Standortförderagentur Berlin-Partner für Wirtschaft und Technologie. Nach intensiven Verhandlungen sei eine Win-win-Situation für die beteiligten Unternehmen, die Mitarbeiter aber insbesondere den Gesundheitscluster HealthCapital entstanden. "Berlin erfährt eine weitere Stärkung als Pharma- und Gesundheitsstandort und wird weitere Unternehmen anziehen", sagte Franzke voraus.

Die für Bayer in Berlin zuständige Ansprechpartnerin bei der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) war am Dienstag zunächst nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Sie müsste dem Geschäft, das bis Mitte 2020 umgesetzt sein soll, ihre Zustimmung erteilen.

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