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Bald wieder gefüllt. Wenn es nach der Zahl der Anwälte im Abgeordnetenhaus geht, dann dürfte künftig alles rechtens sein Parlament. 

© Kai-Uwe Heinrich

Neues Abgeordnetenhaus: 32 Juristen, 20 Lehrer und ein Elektriker

Im neuen Abgeordnetenhaus dominieren wieder Rechtsanwälte und Pädagogen. Die Piraten bringen Computerkompetenzen mit.

Die CDU-Fraktion im neuen Abgeordnetenhaus bringt es auf 17 Juristen, das ist ein Anteil von 43 Prozent. Ziemlich rekordverdächtig. Bei der SPD dominieren Lehrer und Sozialwissenschaftler, die Grünen haben diverse akademische Ausbildungen am Start, in der Linken-Fraktion gibt es die höchste Dichte an Journalisten und Publizisten. Und die Piraten sorgen endlich für computertechnisches Basiswissen. Softwareentwickler waren im deutschen Parlamentswesen bislang weitgehend unbekannt.

Die typischen Abgeordneten in Deutschland sind Lehrer und Juristen, das ist in Berlin nicht anders. Von 152 Abgeordneten haben 32 eine juristische Ausbildung und 20 eine pädagogische. Überrepräsentiert sind auch Diplomkaufleute und Sozialwissenschaftler. Es fehlen die Praktiker. Dachdecker, Versicherungsvertreter, Gärtner, Verkäufer – Fehlanzeige. Als Hausfrau oder -mann wollte sich niemand bezeichnen, dann schon lieber „keine Angaben“. Mit den Piraten sind vier Studenten ins Parlament eingezogen. Die anderen zwei Studenten gehören zur SPD.

Immerhin gibt es ein paar interessante berufliche Neuzugänge. Die Piraten können auf einen Systemadministrator und einen Mathematiker zurückgreifen, die Sozialdemokraten haben einen Elektriker in ihren Reihen, die Grünen einen Kfz-Mechaniker. Die Linke hat schon länger einen Chirurgen im Team, Wolfgang Albers vom Humboldt-Krankenhaus. Auch eine Diplom-Philosophin, Martina Michels, ist im Boot.

Die Auskunftspflicht zur beruflichen Situation umfasst nicht das Eingeständnis, arbeits- und eventuell einkommenslos zu sein. Piraten-Student Christopher Lauer gibt als erlernten Beruf „keiner“ an, entwickelt aber nach eigenen Angaben Software in einer Start-up-Firma und studiert nur nebenbei. Finanziell sei er unabhängig. Andere Piraten wie Wolfram Prieß, Susanne Graf und Gerwald Claus-Brunner können das Geld aus dem Diätentopf des Parlaments sicher gut gebrauchen. Graf ist Studentin, Claus-Brunner Mechatroniker in Teilzeit und Diplom-Physiker Prieß arbeitslos. 3309 Euro brutto im Monat sind da ein wahrer Geldsegen. Zusammen mit der Kostenpauschale von 969 Euro entsteht ein für Berliner Verhältnisse komfortables Gesamteinkommen.

Auch für Geisteswissenschaftler, die sich an der Universität oft auf befristeten Stellen durchschlagen müssen, hat der Parlamentssitz einen finanziellen Anreiz. Neben den 14 Sozialwissenschaftlern gibt es einen „freiberuflichen Texter“ im Hohen Haus, zwei Historiker und einen Germanisten. Einige verfolgen seit langem eine Karriere im Politikbetrieb wie der Fraktionschef der Linken, Udo Wolf. Der fing nach Studium und „selbstständigen Tätigkeiten“ 1990 in der Bundesgeschäftsstelle der Grünen an und wurde dann Mitarbeiter verschiedener Bundestagsabgeordneter. Zwischendurch wechselte er die Partei.

Die Juristenschwemme in deutschen Parlamenten – besonders bei CDU und FDP – wurde zuletzt von der Bundeskanzlerin und Physikerin Angela Merkel gerügt. Auf 30 Prozent bringen es die Juristen in der schwarz-gelben Koalition im Bundestag. Das können nur noch die Berliner Christdemokraten toppen.

Das Abgeordnetenhaus ist kein Feierabendparlament, auch wenn der einzelne Abgeordnete seinen Beruf weiter ausüben darf. Wer sein Mandat ernst nimmt, arbeitet wie ein Vollzeitpolitiker im Bundestag. Rechtsanwälte wie Renate Künast und Volker Ratzmann (beide Grüne) oder Uwe Lehmann-Brauns (CDU) haben den Vorteil, dass sie relativ einfach aus dem Beruf aus- und nach Ende der Legislatur wieder einsteigen können. Das Gleiche gilt für Lehrer oder andere Staatsbedienstete. Sie werden während ihres Mandats freigestellt und erwerben Versorgungsansprüche.

Klaus Wowereit (SPD) hat eine typische Laufbahn als Jurist und Staatsdiener hinter sich. Vorgänger Eberhard Diepgen (CDU) ist Rechtsanwalt. Walter Momper (SPD), Regierender von 1989 bis 1991, hat Politik studiert. Richard von Weizsäcker, Regierender von 1981 bis 1984, ist promovierter Jurist. Es wird höchste Zeit für einen Elektriker im Roten Rathaus.

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