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Berliner Sachgeschichten. Muschter arbeitet heute in leitender Funktion für die Bertelsmann-Stiftung.

© Sven Darmer

Neues Buch von Sebastian Mutscher: Ex-Lageso-Chef kritisiert Auskunftspflicht für Behörden

Sebastian Muschter hat die härteste Behörde Berlins geleitet: das Lageso. Jetzt hat er ein Buch geschrieben – und konkrete Ideen für bessere Ämter.

Von Markus Lücker

Veteranentreffen, Gruppentherapie für das Beamtentum, Predigt auf die Privatwirtschaft – die Buchvorstellung von Sebastian Muschters „Gestalten statt Verwalten“ ließ sich unter vielen Begriffen zusammenfassen. Muschter hatte das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) zwischen 2016 und 2017 geleitet. Damals reihten sich täglich hunderte Geflüchtete vor dem Amt in der Turmstraße ein.

In seinem Buch beschreibt er, wie überfordert das Personal von der Flüchtlingssituation war. Der Krankenstand stieg auf 60 Prozent. Die Zahl der Flüchtlinge sei innerhalb von vier Jahren auf das Vierzigfache gestiegen. Wenige Tage nachdem Muschter die Leitung übernahm, kursierte sogar die Falschmeldung, ein Syrer sei durch das Warten vor dem Amtsgebäude an den Kältefolgen gestorben. Dass die Geschichte zumindest für glaubhaft gehalten wurde, beschreibt die damaligen Zustände am Lageso.

Bei der Präsentation im Tagesspiegel-Gebäude sind zahlreiche ehemalige Amtskollegen und Kolleginnen zugegen. Gemeinsam arbeiten sie das Erlebte noch mal auf. Als sich Muschter beschwert, dass die Beamten schon frühzeitig auf die Mängel bei den Personalzahlen und den Bearbeitungsvorgängen hingewiesen hätten, nicken seine Weggefährten zu jedem Wort.

„Seit Mai 2013 haben wir gefordert und haben viele Briefe geschrieben“, merkt eine Beamtin an. Die Politik habe das ignoriert. Alle würden über die Arbeitsmoral ihres Berufsstandes schimpfen, fährt sie fort. „Vielleicht war das auch in den Köpfen der Senatsverwaltung. Nach dem Motto: Das Lageso soll erst mal seine Arbeit machen, ehe es nach mehr Personal schreit.“ Auch die Medien hätten ihnen nicht zugehört. Andere stimmen mit ein. Die Enttäuschung steckt immer noch in vielen drin. Erst mit Muschter habe sich die Situation gebessert.

Personalprobleme beim Lageso

Statt einer vorausschauenden Personalplanung sei laut Muschter ab Sommer 2015 in großen Mengen eingestellt worden, „als die Krise nicht mehr zu übersehen war“. Während die Stadt das Verwaltungspersonal in den Jahren seit der Wende nahezu halbiert hatte, wurden nun auf einzelnen Personalsitzungen bis zu 60 Neuanstellungen abgezeichnet.

Das Problem: ein Sachverwalter brauche bis zu zwei Jahre, um mit allen Vorschriften des Asylbewerberleistungsgesetzes vertraut zu sein. „Stellen Sie sich einen Aktenstapel vor, der 40 Zentimeter hoch ist, wenn man ihn ausdruckt.“ Entsprechend langsam änderten sich die Zustände am Lageso.

Die andere Gruppe unter den Gästen kennt Sebastian Muschter aus der Zeit vor dem Lageso. Elf Jahre hat Muschter für die Unternehmensberatung McKinsey gearbeitet. Die „Meckies“ unterstützen Firmen bei der Prozessoptimierung, streichen Kosten – harte Wirtschaftlichkeit, wie es Muschter selber beschreibt. Zu ihren Klienten gehören 27 der 30 DAX-Unternehmen.

Ein bisschen mehr wie die Privaten

Entsprechend gestaltet sich die Zukunft, die sich der Ex-McKinsey für den öffentlichen Sektor vorstellt. „Behörden sind nicht auf Profit ausgerichtet und das muss auch so bleiben, aber die Arbeitsstrukturen müssen sich mehr an den Privaten orientieren.“

Bei den Beamten habe er viele kreative Ideen erlebt – und im Publikum wird genickt. Mitarbeiter sollten flexibler zwischen den Abteilungen wechseln, je nachdem, wo gerade saisonal der Bedarf am größten ist. Wer sich im Sommer um Bauanträge kümmert, könne im Winter Obdachlosenquartiere organisieren. Das Ziel: Personal effizienter einsetzen, ohne neues einstellen zu müssen.

Und dann ist da noch der Umgang mit der öffentlichen Meinung. Behörden haben gegenüber der Presse eine Auskunftspflicht. Im Fall des Lageso hätten die Anfragen jedoch zunehmend die Arbeit behindert. „Gerät eine Behörde in die Kritik, entsteht eine verhängnisvolle Dynamik, die den Freiraum für strategische Fragen immer weiter einengt.“ Fachaufsichten sollten Presseanfragen in der Öffentlichkeit „wegdrücken“ und Behörden erlauben, „ihre eigene Agenda zu priorisieren“ – also fast wie bei einem Privatunternehmen.

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