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Das Tacheles ist plötzlich auch hier: in Marzahn.

© Vincent Schlenner

Neues Image für Marzahn: Im Osten geht die Sonne auf

Marzahn war bisher vor allem bekannt für Plattenbauten und die übergewichtige Kunstfigur Cindy. Nun gibt es hier auf einmal neue Künstler, neue Räume und ein neues Image: Marzahn ist plötzlich angesagt. Ein Streifzug.

Schön, dass ihr da seid! Kommt gleich mit, wir sitzen im Garten!“ Roman Hillmann geht voraus durchs meterhohe Gras, hinterm Haus sitzen auf Plastikstühlen eine Handvoll Menschen, einige mit langen Haaren, die aussehen, als machten sie was mit Kunst; der Gartentisch ist vollgestellt mit Kaffeetassen, Aschenbechern, einem Teller mit Marmorkuchen. Die Vögel zwitschern, in der Luft liegt Regen und ein Hauch alternatives Lebensgefühl. Willkommen im neuen Marzahn.

„Marzahn ist geiler als Mitte“, titelte kürzlich ein Klatschblatt, der Bezirk startet eine Imagekampagne mit dem Titel „Berlins beste Aussichten“ und die aus dem Tacheles vertriebenen Künstler machen jetzt einfach hier Kunst. Was ist denn los mit dem Bezirk, den man ja sonst eher mit Plattenbauten, der übergewichtigen Cindy im pinken Trainingsanzug und rassistischen Aktionen in Verbindung bringt, wie neulich, als es um eine geplante Flüchtlingsunterkunft ging?

Einige Antworten gibt Roman Hillmann, ehemaliger Fernsehredakteur, Fotograf, Aussteiger. Vor wenigen Wochen ist er mit Lebensgefährtin Ankelina Möller, Fotografin und ehemalige Tacheles-Bewohnerin, aus Mitte hierhergezogen. Zusammen bewohnen sie eine von zwei Baracken aus DDR-Zeiten auf dem verwilderten 6000-Quadratmeter-Areal an der Marzahner Chaussee. „Wir hatten keine Lust mehr auf Mitte“, sagt Hillmann, graue Haare, Dreitagebart, spitze Stiefel, bis zur Brust aufgeknöpftes Hemd, unter dem eine Kette mit silbernem Kreuz hervorlugt. „In Marzahn ist alles ehrlicher.“

Ihr neues Zuhause, zugleich Arbeitsplatz, wirkt noch provisorisch, gerade machen sie die Baracke wohnlich; Duschen und Toiletten gibt’s schon. „Aber bis wir alle Wände von den Schmierereien befreit haben, dauert es noch“, sagt Hillmann. Bisher haben sie nur die fiesen Nazi-Sprüche entfernt. In der zweiten Baracke richten andere Künstler Ateliers ein. Noch mehr Platz als hier an der Marzahner Chaussee gibt es gleich um die Ecke, auf dem Gelände der Alten Börse an der Beilsteiner Straße. Kurzer Zwischenstopp, Roman Hillman sagt eben Andreas Kerger Hallo.

Der Besitzer der „Antica Pizzicheria“ hat sein italienisches Restaurant in der schicken Reinhardstraße in Mitte dichtgemacht – um in Marzahn neu zu eröffnen. „Hier sind die Leute einfach dankbarer“, sagt Kerger, der mit V-Pulli und silberner Uhr am Handgelenk nach Mitte glänzt. Besonders am Wochenende ist es in seinem Sommergarten stets voll.

Das Tacheles zieht nach Marzahn.

Nun aber weiter zur Alten Börse: Nach kurzer Fahrt hält Hillmann an der Beilsteiner Straße. Auf dem 32 000 Quadratmeter großen Gelände stehen zwischen Skulpturen unübersehbar die rostigen Tacheles-Buchstaben im hohen Gras, die bis vor kurzem nicht vom Künstlerhaus in der Oranienburger Straße wegzudenken waren. Mit den Buchstaben kamen die Künstler; sie richten ihre Ateliers in den zum Teil denkmalgeschützten Hallen ein. Aus einem der Gebäude kommt Peter Kenzelmann geschlendert.

Der 43-Jährige erinnert mit Hornbrille, Glatze und orangefarbenem Schal eher an einen von der Piraten-Partei als an einen Unternehmer. Im März hat er einem Investor das komplette Areal abgekauft, um hier ein Künstlerdorf entstehen zu lassen. Die Tacheles-Leute wollen bald Workshops für Steinhauerei, Keramik und Holzarbeiten anbieten, in einer Brauerei wird künftig „Marzahner“ gebraut, das man im ebenfalls auf dem Gelände geplanten Biergarten trinken kann. Veranstaltungs- und Kinosaal sind noch in Arbeit, auch die Küche ist bisher eher zu erahnen: Die riesige, silberne Dunstabzugshaube hängt jedenfalls schon. Das Urban Gardening Projekt von UdK-Studenten läuft bereits, der Flohmarkt hat schon dreimal stattgefunden. Kenzelmann selbst will am liebsten bald herziehen, aber er komme leider so schnell nicht aus seinem Mietvertrag raus. „Zum Glück bin ich von Mitte schnell in Marzahn.“

Wie bitte? Ein Vorteil von Mitte, dass man schnell in Marzahn ist? Vielleicht hat der Bezirk die neue Imagekampagne gar nicht nötig. Am Donnerstag stellte der Bezirksstadtrat von Marzahn-Hellersdorf Christian Gräff (CDU) zusammen mit einigen Marzahner Wirtschaftlern die Werbekampagne vor. Er wünsche sich, „dass die Leute in zwei, drei Jahren über Marzahn sagen: Oh, spannend, da müssen wir mal hin!“. Spätestens 2017 werden Besucher aus der ganzen Welt in Marzahn erwartet, wenn in den Gärten der Welt die Internationale Gartenschau stattfindet. Glaubt man Roman Hillmann oder Peter Kenzelmann, kommt der Boom viel schneller.

Und was sagen die Marzahner zu dem ganzen Rummel? Auf dem Helene-Weigel-Platz am S-Bahnhof Springpfuhl ist gerade Markt. Neben Obst, Gemüse und Fisch werden Pyjamas, wild gemusterte Damenblusen und Handtaschen aus weißem Lederimitat feilgeboten. „Tacheles? Nie gehört“, sagt die Mittvierzigerin mit dem hellblond gefärbten Kurzhaarschopf. „Aber Künstler, ist doch schön, soll’n ’se ruhig kommen!“ Im Hintergrund recken sich die Degewo-Platten in den tiefblauen Himmel. Auch das ist noch Marzahn.

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