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Berlin: Neues Leben für den alten Westen

Antonio Bragato weiß, wovon er redet. "Der Benjamin-Platz ist der italienischste Platz von Berlin", sagt der gebürtige Venezianer - doch er denkt bei diesem Vergleich nicht an den pittoresken Antikenstil römischer Piazzas, sondern an die strenge Architektur Mailands oder Turins, an Säulen, Granit, Art-deco-Lampen und hohe Räume.

Antonio Bragato weiß, wovon er redet. "Der Benjamin-Platz ist der italienischste Platz von Berlin", sagt der gebürtige Venezianer - doch er denkt bei diesem Vergleich nicht an den pittoresken Antikenstil römischer Piazzas, sondern an die strenge Architektur Mailands oder Turins, an Säulen, Granit, Art-deco-Lampen und hohe Räume. Diese Elemente findet der erfolgreiche Gastwirt an Hans Kollhoffs Walter-Benjamin-Platz in Charlottenburg, der ein wenig an den Markusplatz in Venedig erinnert. Es ist deshalb kein Wunder, dass er sich entschloss, mit einem großen italienischen Restaurant etwas für die Belebung des Areals zwischen den Leibniz-Kolonnaden zu tun, über das das bislang nur wegen des Rauschens der Brunnenanlage geredet wurde.

Bragatos "Enoiteca Il Calice", eine kleine Weinstube, die seit über zehn Jahren ein paar Schritte entfernt in der Giesebrechtstraße besteht, ist nun umgezogen und eröffnet heute in den neuen Räumen an der Ecke Wielandstraße. Die Stammgäste werden allerdings kaum etwas wiedererkennen. Denn die alte "Calice" war bisher eine trotz ihrer gewaltigen Weinauswahl eher bescheidene Kneipe - die neue ist ein zweistöckiges, für Berlin ausgesprochen groß dimensioniertes Restaurant mit einer acht Meter hohen Säule als Zentrum und Blickfang.

Kollhoff hat auch hier jedes Detail bestimmt, und er setzt die italienische Anmutung des Platzes im Inneren konsequent um: Parkett, gradlinig verarbeitetes Nussbaumholz an den Wänden, dazu Lampen und Möbel, die in Italien eigens für das Restaurant angefertigt werden. Bragato ist zusammen mit der Projektleiterin Barbara Tyrra mehrfach hin und her gereist, um jedes Detail perfekt zu machen.

Ein Restaurant? Antonio Bragato differenziert das. Man werde weiterhin in erster Linie eine Vinothek sein, in der es auch Essen gebe, sagt er. Doch auch weiterhin sind keine klassischen Hauptgänge geplant: Es bleibt bei den traditionellen Antipasti, doch Nudeln, Risotto und vor allem Polenta werden eine größere Rolle spielen als bisher. Auf der Galerie im ersten Stock wird eine Zigarrenlounge entstehen, der den Gästen weiter unten allzu viel blauen Dunst erspart, unten an den Eingang kommt eine Ladentheke, an der italienische Delikatessen auch außer Haus zu haben sind.

Für Antonio Bragato, der praktisch akzentfrei Deutsch spricht, ist der Umzug auch ein persönlicher Neuanfang. Er hatte sich von der alten "Calice" schon zurückgezogen und ein Jahr als Immobilienhändler in Mallorca gelebt - doch das langweilte ihn. Als sich die Chance der Neueröffnung ergab, nahm er das als Signal. Doch die Verhandlungen zogen sich hin, "und im August hatte ich mit dem Projekt schon abgeschlossen". Deshalb musste jetzt alles doppelt so schnell gehen; als im Oktober mehr als tausend Gäste zu einer Baustellenparty kamen und 812 Flaschen Wein leerten, wusste sich der mutige Wirt auf dem richtigen Weg - ebenso wie damals in den späten Achtzigern, als er die Berliner mit der ganzen italienischen Weinkultur bekannt machte und so zum Vorreiter einer Entwicklung wurde, die nun die viel beschworene "Weinstadt Berlin" hervorgebracht hat. Mit seinem Projekt möchte er aber auch einen Anstoß zur Wiederbelebung des Westens geben. Mal sehen, ob der Westen sich anstoßen lässt.

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