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Berlin: Neukölln in Fahrt

Karl-Hermann Lenz arbeitet als Priester im Viertel – und will den Kiez mit vielen Projekten voranbringen

Der Ball saust durchs Netz, wieder einen Dreier versenkt, Karl-Hermann Lenz schreit: „Voll geiler Korb!“

Neukölln am Nachmittag, der Pfarrer spielt Basketball. Hier im Reuterkiez vor der Christophorus-Kirche kommt es regelmäßig zum Duell mit den Jugendlichen aus der Nachbarschaft. Und meistens gewinnt der 49-jährige Priester, der im Verein gedribbelt hat und Trikot statt Priesterkragen trägt. „Es ist wichtig zu den Leuten engen Kontakt zu halten – auch zu den nicht-katholischen“, sagt Lenz.

Für ihn ist es selbstverständlich, dass sich seine Gemeindearbeit mit den Problemen vor Ort beschäftigt und er mit dem Neuköllner Quartiersmanagement zusammenarbeitet. 30 Prozent der Bevölkerung sind arbeitslos, fast die Hälfte hat einen Migrationshintergrund. Zur Kirche, die dieses Jahr ihr 75-jähriges Gemeindejubiläum feiert, gehört eine Kita mit 75 Plätzen. Kinder aus aller Herren Länder werden betreut. „Wir bringen den Kleinsten bei, dass wir uns in unserer kulturellen Vielfalt achten müssen“, sagt Lenz. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Arbeit des Projektes „Pallotti Mobil“: arbeitslose Männer renovieren darin kostenlos die Wohnungen von sozial Bedürftigen oder organisieren Umzüge. Namensgeber ist der Heilige Vinzenz Pallotti, in dessen Gemeinschaft Lenz ist. Der Patron war bekannt für die Aktivierung möglichst vieler für „die Sache Gottes und das Wohl der Menschen“.

Dann gibt es noch das „Café Platte“. Am letzten Sonntag im Monat – dann, wenn in den meisten Haushalten die 345 Euro des Arbeitslosengeldes II aufgebraucht sind – lädt das Projekt Obdachlose und Sozialschwache zum Mittagessen ein. „Café Platte“ soll mehr sein als eine Armenspeisung. Die Tische sind dekoriert, es wird musiziert, die Gäste werden bedient wie im Restaurant. „Ich finde es gut, mit Menschen zu arbeiten, bei denen man sonst eher wegschaut“, sagt Lenz.

Nicht weniger wichtig ist für den Pfarrer die Arbeit mit Migranten im „Forum Asyl“. Neben rechtlicher und sozialer Beratung bietet die Gemeinde auch Kirchenasyl an. Der Vorwurf der Rechtsbeugung trifft Lenz nicht. „In dem Fall sollte die Haltung Jesu gelten: Der Mensch ist nicht für das Gesetz da, sondern das Gesetz für den Menschen.“ Pfarrer Lenz – hohe Stirn, braune Knopfaugen, massige Figur – erfreut zum Karneval seine Gemeinde immer mit einer Büttenrede als Predigt. An Ostern und Weihnachten erzählt er einen Kalauer. Aber er kann nicht nur fröhlich. Als etwa vor vier Jahren pöbelnde Jugendliche in die Messe stürmten, packte sie der Pfarrer am Schlafittchen. „Leider wird den Kids hier vieles weggekürzt wie etwa Jugendtreffs oder Sozialarbeiter“, sagt Lenz. Er glaubt nicht, dass sich die sozialen Härten so schnell auflösen werden in Neukölln Nord. Allerdings beobachtet auch er, dass vermehrt Studenten und Künstler in den Kiez ziehen.

„I love Reuterkiez“ haftet als Aufkleber an der Heckscheibe des Gemeindeautos. Im Rahmen von „48 Stunden Neukölln“ stellten Künstler ihre Werke im Kirchenraum aus. „Wir sind bewusst vor 13 Jahren in diesen Kiez gegangen. Als Privatmensch ist es mir hier oft zu dreckig und zu laut – aber als Pfarrer fühle ich mich hier voll richtig.“ Christoph Wöhrle

Christoph Wöhrle

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