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Neukölln: Streit um besseren Schutz von Kindern vor Sexualtätern

Der Neuköllner Stadtrat fordert, Adressen von Ex-Häftlingen zu veröffentlichen. Unterdessen ermittelt die Polizei nicht gegen die Eltern der mutmaßlichen Opfer von Uwe K.

In Berlin wird über mögliche Konsequenzen aus dem Fall des Sexualstraftäters Uwe K. gestritten. Der Neuköllner Gesundheitsstadtrat Falko Liecke (CDU) sprach nach dem erneuten Missbrauch eines Kindes von einer „Kapitulation des Staates“. Dass Polizeipräsident Dieter Glietsch zugegeben habe, die Behörde sei nicht in der Lage, Kinder vor Straftätern zu schützen, sei „hilflos und inakzeptabel“. Der Stadtrat forderte, Wohnbereiche potenzieller Sexualtäter im Internet zu veröffentlichen. In den USA sei dies erfolgreich. Der Täterschutz müsse hier zurückstehen, sagte Liecke.

Der 45-jährige Uwe K. soll die zwölfjährige Tochter einer ihm bekannten Familie vergewaltigt haben. Die Mutter des Mädchens hatte trotz Warnungen von Polizei und Jugendamt den Kontakt zum verurteilten Mehrfachvergewaltiger K. nicht abgebrochen. Insgesamt hatte die Polizei drei mit K. befreundete Familien gewarnt, nicht jedoch die gesamte Nachbarschaft der Spandauer Wohnsiedlung Falkenhagener Feld. Nun wird dem Vernehmen nach gegen eine Mutter aus dem Umfeld von Uwe K. ermittelt wegen Verletzung der Fürsorgepflicht. Was diesem Verdacht zugrunde liegt, blieb unklar. Nicht ermittelt wird dagegen gegen die beiden Mütter, deren Töchter von K. in einem Fall vergewaltigt, im anderen missbraucht worden sein sollen. Die Missachtung einer polizeilichen Warnung sei nicht automatisch eine Verletzung der Fürsorgepflicht, hieß es.

Ins Visier der Polizei ist auch das Spandauer Jugendamt geraten. Ein Mitarbeiter könnte gegen die Fürsorgepflicht verstoßen haben, indem er zu langsam gearbeitet habe, wie es hieß. Die Familie des mutmaßlichen Opfers wird seit längerem vom Jugendamt betreut. Die Spandauer CDU forderte von Jugendstadträtin Ursula Meys (SPD) „detailliert Auskunft“: Wie könne ein Mädchen, das durch das Amt betreut wurde, Opfer eines Kinderschänders werden? Die Stadträtin war Dienstag nicht zu erreichen.

Die Hürden, um einer Familie das Sorgerecht für sein Kind zu entziehen, sind in Deutschland relativ hoch. Erst wenn konkrete Übergriffe bekannt sind oder unmittelbar bevorstehen, können Behörden wegen „Gefahr in Verzug“ ein Kind ausquartieren. Dazu reiche jedoch nicht der bloße Verdacht, erklärten Juristen. Nur wenn Eltern das Kindeswohl dauerhaft nicht sicherstellen, können Familiengerichte generell das Sorgerecht entziehen. Schwierig wird ein solcher Schritt, wenn Eltern glaubhaft machen, dass sie sich ausreichend um ihren Nachwuchs kümmern. „Missbrauch findet in den allermeisten Fällen heimlich, hinter verschlossenen Türen statt“, sagte Thomas Meysen vom Deutschen Institut für Jugendhilfe und Familienrecht. Nicht nur angesichts des Falls von Uwe K. kritisieren Experten, dass das Elternrecht in Deutschland zu hoch bewertet werde, der Staat also früher in desolate Familien eingreifen können müsse. „In Deutschland besteht zuweilen die Gefahr, dass beim Abwägen zwischen Elternrechten und dem Kindesschutz zu wenig in die Elternrechte eingegriffen wird“, sagte Kerstin Niethammer-Jürgens, Spezialistin für Familienrecht. Die Anwältin warnte aber vor staatlicher Entmündigung. Im Vergleich zu anderen EU-Staaten liege Deutschland bei der Strenge im Umgang mit Familien im Mittelfeld, sagte Thomas Meysen.

Bundesfamilienministerin Kristina Köhler (CDU) startet an diesem Mittwoch einen neuen Anlauf für ein Kinderschutzgesetz. Bei Fachgesprächen sollen rund 50 Experten, unter ihnen auch Jugendhilfe-Experte Meysen, dafür den Rahmen abstecken. Ziel sei es, sagte Köhler, vorhandene Lücken beim Kinderschutz zu schließen. Sie wolle Unterstützungsangebote für Familien in schwierigen Lagen verbessern und mit dem Kinderschutz befasste Berufsgruppen vernetzen.

Der Mehrfachvergewaltiger Uwe K. war im Januar 2007 nach elfjähriger Haft in Brandenburg freigekommen. Eine nachträgliche Sicherungsverwahrung war vom Gericht abgelehnt worden. K. sitzt seit Dezember 2009 wieder in Untersuchungshaft, nachdem er das zwölfjährige Mädchen missbraucht haben soll. Weil er auch nach seiner Entlassung als gefährlich galt, war Uwe K. 2008 für je zwei, später sogar drei Wochen von Polizisten observiert worden – ergebnislos.

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