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Neustart-Konferenz: Dieser Berliner Verein will unser Verständnis von Wirtschaft verändern
Die NGO „Cradle to Cradle“ will Klima- und Ressourcenschutz gemeinsam denken und Berlin als Vorreiter für Kreislaufwirtschaft stärken. Er hat bereits Preise gewonnen – und ein großes Projekt für „Die Ärzte“ umgesetzt.
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Nora Sophie Griefahn tritt auf die Bühne. „Wir können mehr tun, als weniger schlecht zu sein“, sagt sie. Man kann es als Motto ihres Vereins „Cradle to Cradle – Wiege zur Wiege“ betrachten, dem sie vorsteht und der nichts weniger anstrebt, als das Bewusstsein für eine alternative, nachhaltige Wirtschaftsweise zu schaffen.
Auf der „Neustart-Konferenz“ – einer gemeinsamen Veranstaltung von Berliner Morgenpost, Tagesspiegel, Radioeins und Euref-Campus, bei der mehrere Initiativen ihre Ideen für ein besseres Berlin präsentieren – stellte sie ein Projekt vor, das in Berlin als Vorreiter eigenen Angaben zufolge weltweit einzigartig ist.
„Cradle to Cradle“ wurde mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet
„Cradle to Cradle“ wurde 2012 als gemeinnützige Organisation im niedersächsischen Lüneburg gegründet. Bereits zwei Jahre später folgte die Eröffnung der Geschäftsstelle in Berlin. Mittlerweile ist die Nichtregierungsorganisation (NGO) Träger des Deutschen Nachhaltigkeitspreises, der als höchste Auszeichnung für ökologisches und soziales Engagement in Europa bezeichnet wird, und hat etwa 30 Mitarbeitende in Berlin.
Der Name des Vereins leitet sich ab von der Losung „Von der Wiege bis zur Bahre“, die den Lebenszyklus eines Produktes von der Herstellung bis zur Entsorgung beschreibt. „Cradle to Cradle“ stellt einen Gegenentwurf dazu dar. Produkte sollen so angelegt sein, dass sie gesund für den Menschen und für die Umwelt und wiederverwertbar sind – das Konzept der Kreislaufwirtschaft.
„Wir versuchen seit Jahrzehnten, durch Verzicht und Reduktion weniger falsch zu machen“, heißt es in einem Informationsheft der NGO. „Diese Strategie packt das Problem der linearen Wirtschaftsweise jedoch nicht an der Wurzel. Denn weniger schlecht ist eben noch lange nicht gut.“ Produkte müssten einen Mehrwert für Mensch und Umwelt haben.
Das Vorbild: Die Natur, wo jeglicher Abfall Nährstoff für etwas Neues ist. „Grundvoraussetzungen sind regenerative Energie, der Erhalt oder die Verbesserung der Qualität von Wasser und Boden sowie faire und menschenwürdige Arbeitsbedingungen“, erklärte die Sprecherin des Vereins.
Kreislaufwirtschaft: Bühne mit Ökostrom, nachhaltige Pommesgabeln, Humus aus Fäkalien
Die Transformation beginnt laut „Cradle to Cradle“ in den Köpfen. Daher veranstaltet der Verein Workshops, Vorträge und Führungen, vernetzt Akteurinnen und Akteure aus verschiedensten Bereichen und hilft bei der Umsetzung des Konzeptes der Kreislaufwirtschaft.
Mit dem Projekt „Labor Tempelhof“ wollte der Verein zeigen, dass Kreislaufwirtschafts-Ideen auch im Großen anwendbar sind. Bei fünf Konzerten der Berliner Band „Die Ärzte“ und einem Konzert von „Die Toten Hosen“ wurden unter anderem biologisch abbaubare Pommesgabeln eingesetzt. Zudem wurden Bühne und Essensstände mit Ökostrom versorgt, die Konzertbesucherinnen und -besucher animiert, mit öffentlichen Verkehrsmitteln anzureisen, und Ausscheidungen, die in den Toiletten landeten, als Dünger und Humus genutzt.
Mit insgesamt 330.000 Konzertbesucherinnen und -besuchern wurde aufgezeigt, „wie viel Cradle to Cradle heute schon in der Praxis geht“, so die Sprecherin. Die Maßnahmen, für die der Verein eigenen Angaben zufolge fünf Jahre Vorausplanung benötigte, seien übertragbar auf andere Bereiche wie Industrie oder Landwirtschaft.
Weltweit erste Sanierung nach Cradle to Cradle
Der Hauptsitz des Vereins wurde 2018 nach dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft saniert – weltweit einmalig, wie es von der NGO heißt. Die angemieteten Räumlichkeiten wurden von sämtlichen Giftstoffen befreit. Gleichzeitig dient der Sitz als Bildungszentrum und Reallabor.
„Wir müssen Räume anders denken“, erklärte Vorständin Nora Sophie Griefahn bei der „Neustart-Konferenz“. Alle Materialien, die für die Büroräume genutzt wurden, sind laut „Cradle to Cradle“ gesund, wiederverwertbar und rückbaubar: Kreislauffähige Teppiche, kompostierbare Stuhlpolster und Tee aus der Landwirtschaft.
Aktuell wird der Hauptsitz des Vereins ausgebaut und soll auf 500 Quadratmeter anwachsen. „Das Ziel ist, 2026 ein Community Hub zu eröffnen“, so Griefahn. Dort sollen Veranstaltungen stattfinden, neue Formate ermöglicht und Akteure, die an dem Konzept interessiert sind, vernetzt werden.
„Es werden Unternehmen, Start-ups, Architekt*innen, Handwerk, Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft und NGOs zusammenkommen, um Wissen auszutauschen, Pilotprojekte umzusetzen, Produkte weiterzuentwickeln und Berlin als Vorreiterin für zirkuläres Wirtschaften zu stärken“, beschreibt die Sprecherin der NGO. „Hier entsteht mehr als ein Treffpunkt: Menschen aus aller Welt gestalten gemeinsam eine lebenswerte C2C-Zukunft.“
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