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Studieren mit Kopftuch - Ja. Lehrerin werden aber nicht?

© dpa

Neutralitätsgesetz: In Berliner SPD zeichnet sich Mehrheit für Kopftuchverbot ab

Der SPD-Landesvorstand befragt zurzeit die Basis, ob Lehrerinnen oder Polizistinnen ein Kopftuch tragen dürfen. Aber wichtige Kreisverbände haben sich schon festgelegt.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Die Berliner SPD fragt zurzeit ihre Basis, ob Lehrerinnen, aber auch Richterinnen und Polizistinnen „weiterhin kein Kopftuch tragen dürfen“ sollen. Das Ergebnis der Umfrage, an der sich bis Mittwoch rund 1700 Genossen (zehn Prozent der Mitglieder) beteiligt haben, soll ins Wahlprogramm für 2016 aufgenommen werden.

Doch eigentlich hat sich der SPD-Landesverband schon festgelegt. Auf dem Parteitag am 14. November werden die Kreisverbände Charlottenburg-Wilmersdorf, Tempelhof-Schöneberg und Treptow-Köpenick sowie die Jungsozialisten beantragen, das rechtlich und politisch umstrittene Neutralitätsgesetz des Landes Berlin beizubehalten.

Auch die Neuköllner SPD hat dies im September auf einer Kreisdelegiertenversammlung beschlossen. Angesichts dieser innerparteilichen Offensive wäre es eine große Überraschung, wenn sich die Parteitagsmehrheit für eine Reform des Neutralitätsgesetzes – und damit gegen das Kopftuchverbot an Schulen und in anderen Teilen des öffentlichen Dienstes – aussprechen würde.

Am 5. November endet aber die Umfrage, und sollte die Parteibasis anders entscheiden, müssten sich die Delegierten diesem Votum beugen. „Das wird noch lustig“, hört man in Parteikreisen. Die Genossen rechnen mit einer munteren Debatte.

Innensenator prüft, ob Urteil auch Berlins Kopftuchverbot kippen könnte

Zumal die Frage, ob Lehrerinnen in der Schule ein Kopftuch tragen dürfen, nicht nur weltanschaulich, sondern auch rechtlich zu beantworten ist. Das Bundesverfassungsgericht hatte im März entschieden, dass „religiöse Bekundungen in öffentlichen Schulen durch das Erscheinungsbild von Lehrerinnen und Lehrern“ nicht generell verboten werden dürfen.

Das bei der Verfassungsklage muslimischer Lehrerinnen unterlegene Land Nordrhein-Westfalen passte sein Schulgesetz bereits im Juni entsprechend an. In Berlin prüft Innensenator Frank Henkel (CDU) seit einem halben Jahr, ob das Urteil auch Berlins Kopftuchverbot kippen könnte. Auf Grundlage dieser Prüfung, deren Ergebnis in „den nächsten Wochen“ erwartet wird, entscheidet der Senat, ob das Berliner Neutralitätsgesetz von 2005 noch zu halten ist.

Zwar findet der SPD-Landeschef Jan Stöß, dass „die politische Grundentscheidung dabei wichtiger ist als das juristische Verfahren“. Trotzdem werden die Sozialdemokraten die Rechtsexpertise des Innensenators, auch wenn er Christdemokrat ist, nicht einfach ignorieren können. Zumal der Wissenschaftliche Parlamentsdienst des Abgeordnetenhauses schon im Juli in Anlehnung an das Karlsruher Urteil die Überzeugung vertrat, dass Berlins Neutralitätsgesetz teilweise verfassungswidrig sei. Pikant ist: SPD-Fraktionschef Raed Saleh gab dieses Gutachten in Auftrag. Er gehört zu denen, die Kopftuch tragende Lehrerinnen nicht per se ablehnen, ebenso wie der ehemalige Innensenator Ehrhart Körting und die Landeschefin der SPD-Arbeitsgemeinschaft „Migration“, Daniela Kaya.

"Die Berliner SPD bekennt sich zum Neutralitätsgesetz"

Die Gegenposition, die vom Parteichef Stöß, dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller und der Arbeitssenatorin Dilek Kolat geteilt wird, bringt der Parteitagsantrag aus Charlottenburg-Wilmersdorf so auf den Punkt: „Die Berliner SPD bekennt sich nachhaltig zum Neutralitätsgesetz, das die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landes Berlin in ausgewählten Tätigkeiten mit hoheitlichen Aufgaben und Lehrkräfte in öffentlichen Schulen zur weltanschaulich-religiösen Neutralität verpflichtet. Diese dürfen unter anderem keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke und Symbole tragen.“

Auch in den anderen SPD-Anträgen wird das Gebot der möglichst strikten Trennung von Staat und Kirche betont und die Jusos fordern trotz des Verfassungsgerichtsurteils, dass Berlin bei der eigenen Gesetzgebung „keinen freiwilligen Rückzug“ antreten solle. Wenn sich diese Position durchsetzt, ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis Karlsruhe auch über das Neutralitätsgesetz in der Hauptstadt urteilen muss, weil Betroffene klagen. Mit Blick auf den Wahlkampf 2016, der seine Schatten schon vorauswirft, ist mit einer Änderung des Landesgesetzes zum Kopftuchverbot vor der Wahl ohnehin kaum noch zu rechnen.

Die Zahl der Muslime in Berlin hat sich seit 1990 mehr als verdoppelt

In der Berliner SPD gibt es traditionell starke Kräfte, die in freundlicher bis kritischer Distanz zu Kirche und Religion stehen. Nicht besonders laut, aber doch vernehmlich beklagen viele Genossen, dass diesen Institutionen immer noch ein überproportionaler Einfluss auf Gesellschaft und Politik zugestanden werde. Dass die Gespräche über einen Staatsvertrag mit den muslimischen Gemeinden in Berlin äußerst schleppend verlaufen, ist auch kein Zufall. Nur da, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

Es passt gut in dieses Bild, dass der Humanistische Verband Berlin, der den „Abbau von Kirchenprivilegien“ fordert und auf eine „Zusammensetzung der Bevölkerung zugunsten der nichtreligiösen Menschen“ hinarbeitet, in der Landes-SPD großen Einfluss hat. Der Genosse Trend ist ja auch nicht zu leugnen. Die Zahl der Katholiken und Protestanten in Berlin lag Ende 2014 noch bei 938 000. Vor zehn Jahren waren es 1,05 Millionen. Aber auch das ist Realität: Die Zahl der Muslime in Berlin hat sich seit 1990 mehr als verdoppelt. Ihre Zahl wurde 2011 auf 249 000 geschätzt, neuere Daten gibt es nicht.

Schwarzer Mantel, schwarze Schuhe, schwarzes Kopftuch – ein elegantes Outfit für einen kühlen Herbsttag. Oder? Unsere Autorin wird ständig wegen ihrer Kleidung als Terrorbraut angefeindet. Das ist nicht nur ein Stilproblem. Lesen Sie hier den Kommentar "IS, gib mir meinen Style zurück!"

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