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Neuberliner. Ahmad Al-Dali kam aus Syrien nach Berlin, um dem Krieg zu entgehen. "Flüchtling" will er aber nicht genannt werden.

© Georg Moritz

Newcomer in Berlin: Nennt mich nicht Flüchtling!

Unser Autor ist aus Syrien geflohen, nun lebt er in Berlin. Als „Flüchtling“ bezeichnet werden will er nicht, schreibt er in seinem Kommentar. Weil der Begriff Schwäche und Hilfsbedürftigkeit suggeriert. Außerdem gibt es ein viel besseres Wort.

Gleich vorweg: Es geht mir gut. Ich komme zurecht. Deswegen ärgert es mich wirklich, wenn ich ständig als „Flüchtling“ bezeichnet werde. Gestern zum Beispiel. Da hat ein Fernsehteam einen Beitrag gedreht über die „Schlafplatzorga“ am Oranienplatz. Das sind Leute, die Übernachtungsmöglichkeiten für Ankommende organisieren. Dort helfe ich. Ein Mädchen hat mich als „Ahmad, ein syrischer Flüchtling“ vorgestellt. Sowas will ich nicht einfach schlucken. Das klingt, als wäre ich ein Gegenstand. Aber ich bin Ahmad aus Syrien. Und ich wohne mit Freunden zusammen.

Es ist ein Unterschied, als Freund zu helfen, auf Augenhöhe – oder aus Mitleid. Das Wort „Flüchtling“, oder auf Englisch „Refugee“, ist sofort verbunden mit Hilfsbedürftigkeit und Schwäche. Ich will aber kein Mitleid. Und ich hasse es, um Hilfe zu bitten. Das fühlt sich nicht gut an. Lieber nehme ich den harten Weg – das habe ich oft getan in den letzten zwei Jahren , seit ich aus Damaskus weggegangen bin. Natürlich geht es nicht allen so wie mir. Einige brauchen wirklich Unterstützung und nehmen Hilfe gern an. Andere denken gar nicht darüber nach, was das Wort bedeutet. Aber ich denke viel – und deshalb ist mir das auch so wichtig.

Zuerst wollte ich nicht nach Europa, nach Deutschland kommen und ein Flüchtling werden. Wenn du ein Flüchtling bist, verlierst du das Gefühl, eine Person zu sein. Du verlierst dich selbst. Du gehst unter in einer anonymen Masse. Die Leute sagen „die Flüchtlinge“ und generalisieren dabei alles: die Mentalität, die Nationalität, die Kultur. Nehmen wir nur mal uns Syrer: Wir sind alle unterschiedlich, haben jeder eine Persönlichkeit – und eine Menge Potenzial! Für mich ist der Begriff auch mit Warten verbunden. Eine Menge Freunde von mir sitzen nur in ihren Heimen herum und zählen die Momente. Sie hatten ein gutes Leben, bevor der Krieg kam und alles zerstört hat. Erst wenn sie einen Aufenthaltsstatus bekommen, können sie hier einen Job suchen. Können ankommen und ein neues Leben beginnen. Erst dann endet für sie auch das Wort „Flüchtling“.

Generalisierungen sind das Problem. Jeder von uns hat eine Persönlichkeit – und eine Menge Potenzial

Es gibt Leute, die glauben, schon alles über mich zu wissen, wenn sie hören, ich sei ein Flüchtling. Aber ich habe eine Vergangenheit in Syrien – und hoffentlich eine Zukunft in Deutschland. In Damaskus war ich ein ganz normaler Student. Ich habe E-Bass gespielt und mit einem Freund gemeinsam Musik gemacht. Ich habe oft Liedtexte geschrieben und mir am Computer selbst 3-D-Design beigebracht. Wegen des Krieges sind dann fast alle meine Freunde aus Syrien weggegangen, ich schließlich auch. Ich hatte die Idee, in der Türkei zu leben und zu arbeiten. Aber das Land war ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe. Ich habe in einer Näherei gearbeitet, mehr als zwölf Stunden am Tag, ein ziemlicher Scheißjob. Es gab zwar ein wenig Geld und ich war echt gut darin, wahnsinnig schnell im Nähen. Aber die Türkei war trotzdem eine Sackgasse.

Jetzt bin ich seit vier Monaten in Berlin. Ich fühle mich hier schon fast zu Hause, auch wenn ich mich mit dem Fahrrad immer noch ständig verfahre. Mein Ziel ist es, 3-D-Design bald perfekt zu beherrschen. Und dann möchte ich Videospiele programmieren. Ich will glänzen!

Bis ich endlich meine Arbeitserlaubnis bekomme, wird es wohl noch eine Weile dauern. Aber ich wünsche mir, nicht mehr „Flüchtling“ genannt zu werden. Lieber wäre es mir, wenn mich die Leute mit meinem Namen ansprechen. Wenn es unbedingt einen Sammelbegriff braucht, für die, die hierher kommen, sollte man sie einfach „Newcomer“ nennen. Ich habe den Begriff neulich schon benutzt. Da habe ich jemandem erzählt, dass ich bei der Schlafplatzorga den Newcomern helfe. Klingt doch gut, oder? Probieren Sie es mal aus!

Aufgezeichnet und aus dem Englischen übersetzt von Maria Fiedler.

Ab diesem Punkt werden wir Ahmad Al-Dali begleiten. Wöchentlich wollen wir ihn künftig fragen, wie es ihm ergeht und wie ihm die Stadt begegnet.

Der Beitrag ist auch als "Rant" in der gedruckten Tagesspiegel-Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen. Lesen Sie hier die englische Version des Textes.

Ahmad Al-Dali

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