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Berlin: Nicht an der Zukunft sparen

Wirtschaft und Wissenschaft warnen vor Kürzungen an der falschen Stelle

Sparen, aber richtig – auf diese Quintessenz lassen sich die Reaktionen in Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaft verdichten. IHK und Unternehmensverbände forderten in ersten Stellungnahmen Kürzungen bei konsumtiven Ausgaben und warnten vor weiteren Einschränkungen bei den ohnehin schon niedrigen öffentlichen Investitionen. Industriepräsident Jürgen Thumann sprach von einer „herben Niederlage für das Land Berlin“, begrüßte aber gleichzeitig die „Stärkung der finanziellen Eigenverantwortung“ der Länder durch das Bundesverfassungsgericht. Für den Berliner DGB verschärft die Ablehnung weiterer Finanzhilfe „die soziale Polarisierung in der Stadt angesichts von 600 000 Armen“.

Ähnlich argumentierte Klaus Semlinger, Vizepräsident der Fachhochschule für Wirtschaft und Technik in Karlshorst. Weitere Kürzungen setzten eine „Spirale nach unten“ in Gang. Wenn bei Bildung, Kultur, Wissenschaft und Sozialem gespart werde, „verlagern wir die Ausgaben in die Zukunft“, sagte Semlinger auf Anfrage. Es gehe vielmehr darum, mit den vorhandenen Mitteln „bessere Lösungen“ beziehungsweise höhere Wirkungen zu erzielen. Die „massiven Probleme“ Berlins seien „ohne Innovationen überhaupt nicht zu lösen“, meinte Semlinger. Der Stadt- und Regionalökonom Peter Ring warnte vor Sparmaßnahmen, „die in den Hochschulen Ausbildungs- und Forschungsbereiche betreffen, die zum Aufbau einer zukunftsfähigen Industrie erforderlich sind“. Ferner müsse die Verflechtung von Unis und Unternehmen, wie sie zum Beispiel in München und Stuttgart schon gegeben sei, stärker gefördert werden. Für qualifizierte und gut bezahlte Arbeitskräfte brauche die Stadt eine starke Industrie. „Mit Events allein ist es nicht getan“, sagte Ring dem Tagesspiegel.

Auf die Bedeutung der Industrie wies auch Ingo Pfeiffer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hin. In den vergangenen 15 Jahren seien „gnadenlos Industriearbeiter in die Arbeitslosigkeit geschickt worden und die Beschäftigten im öffentlichen Dienst wurden geschont“. Als der Diepgen-Senat Mitte der 90er Jahre die Angleichung der Gehälter im öffentlichen Dienst im Ostteil der Stadt an Westniveau beschlossen habe, kostete das pro Jahr 700 Millionen Mark, erinnerte sich Pfeiffer. Gleichzeitig habe der damalige Bundesfinanzminister Theo Waigel dadurch die Legitimation zur weiteren Kürzung der Bundeshilfe für Berlin bekommen. Der Personalüberhang im öffentlichen Dienst sei damals „auf Jahre festgeschrieben worden“, so der DIW-Wissenschaftler.

Nahezu alle Vertreter aus Wirtschaft und Wissenschaft warnen vor Kürzungen im Bildungsbereich und sehen Sparpotenzial in der Verwaltung. Die IHK hat zum Beispiel errechnet, dass eine einstufige Verwaltung – was auf eine Abschaffung der Bezirkskompetenzen hinausliefe – 450 Millionen Euro brächte. Kammerpräsident Eric Schweitzer nahm den Karlsruher Richterspruch zum Anlass, weitere Privatisierungen zu fordern. So sei Berlin noch immer Alleineigentümer von 27 Unternehmen, darunter Sportstadien und Theater, mit zusammen 33 000 Mitarbeitern. An 13 weiteren Firmen halte der Senat Mehrheitsbeteiligungen.

Als Privatisierungsobjekte nannte der IHK-Präsident Wohnungsgesellschaften, Krankenhäuser, BVG und BSR sowie die Behala. Nur mit Hilfe der Privatisierungen könne die Staatsquote von derzeit 60 Prozent reduziert werden. DGB-Chef Dieter Scholz meinte dagegen mit Blick auf die Privatisierungsbefürworter, „städtisches Eigentum wie BVG und Wohnungsbauunternehmen müssen tabu sein, da sonst die öffentliche Versorgung wesentlich eingeschränkt wird“.

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