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Berlin: "Nicht in der Großen Koalition fortfahren, als sei nichts geschehen"

Der SPD-Spitzenkandidat Walter Momper hat vier Tage nach der Wahlniederlage der Sozialdemokraten erklärt, keine politischen Führungsaufgaben übernehmen zu wollen. Für das Wahlergebnis fühle er sich mitverantwortlich, schrieb er in einem Brief an den SPD-Landeschef Peter Strieder.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Der SPD-Spitzenkandidat Walter Momper hat vier Tage nach der Wahlniederlage der Sozialdemokraten erklärt, keine politischen Führungsaufgaben übernehmen zu wollen. Für das Wahlergebnis fühle er sich mitverantwortlich, schrieb er in einem Brief an den SPD-Landeschef Peter Strieder. Momper äußerte sich besorgt, "dass die Weichen für eine Fortsetzung der Großen Koalition gestellt werden, ohne inhaltliche Perspektiven und Alternativen aufzuzeigen." Der SPD-Landesausschuss wird morgen über den künftigen Kurs der Berliner SPD beraten. Unterdessen zeichnet sich ab, dass Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing einem künftigen CDU/SPD-Senat nicht mehr angehören wird, weil sich die SPD neue politische Schwerpunkte suchen will.

Noch am Wahlabend hatte Walter Momper angekündigt, er wolle künftig eine "tragende Rolle" in der SPD spielen. Aber dem 54-jährigen ehemaligen Regierenden Bürgermeister kam in der Partei die Unterstützung an der Parteibasis abhanden. Wenn der SPD-Landesausschuss über die Konsequenzen aus dem Wahlergebnis debattiert, erspart sich Momper eine Niederlage bei der Neuformierung der Führungsriege. Für Parteichef Peter Strieder und Böger kam der Momper-Rückzug offenbar nicht überraschend. Telefongespräche waren vorausgegangen. Beide dankten ihm für seinen Wahlkampfeinsatz. Sein Verzicht auf politische Führungsaufgaben verdiene Respekt, sagte Böger. Momper übernehme damit die Verantwortung für ein Wahlergebnis, "das zweifellos vielfältige Ursachen hat". Strieder sprach von einem konsequenten Schritt und bedauerte "Diffamierungen" Mompers im Wahlkampf. Sein Sachverstand werde in der SPD weiter gebraucht. Momper, der sich nicht sprechen ließ, will nach Angaben Strieders sein Parlamentsmandat annehmen.

In der Landesausschuss-Klausurtagung soll über die inhaltliche und personelle Erneuerung der SPD, und über die Fortsetzung der Großen Koalition mit der CDU beraten werden. Was dabei herauskommt, ist offen. Strieder, Böger und deren Anhänger hoffen auf die Zustimmung der SPD zu Sondierungsgesprächen mit der CDU. Finanzstaatssekretär Frank Bielka, der den Britzer Kreis des rechten Flügels organisiert, gab sich optimistisch, daß dies mit der Mehrheit der Rechten und der "Kuschellinken" gelinge. Andere sind skeptisch. An der Basis wird teils nach der Opposition, teils nach personellen Veränderungen gerufen. Der Befürchtung Mompers, dass die SPD die Große Koalition fortsetzen wolle, "ohne inhaltliche Perspektiven und Alternativen aufzuzeigen", widersprach Böger heftig. Er sehe keinen Einzigen in der SPD, der weitermachen wolle wie bisher.

Sollte es zu einem politischen Kurswechsel der SPD kommen, könnte Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing das erste Opfer werden. Der stellvertretende SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzende Hermann Borghorst forderte gestern, die Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik, die soziale Stadtentwicklung und die Bildungspolitik in den Vordergrund sozialdemokratischer Politik zu rücken. "Die Haushaltskonsolidierung muss eine dienende Rolle einnehmen". Borghorst bestätigte dem Tagesspiegel, dass es in der SPD "erhebliche, wachsende Bedenken" gebe, erneut das Finanzressort zu übernehmen, sollte es zur Fortsetzung der Großen Koalition kommen.

Der DGB-Vorsitzende in Berlin und Brandenburg, Dieter Scholz, forderte die Sozialdemokraten ebenfalls auf, sich auf die Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zu konzentrieren. "Das ist eine Politik für die Zukunft". Wenn Fugmann-Heesing nicht bereit sei, eine solche Politik mitzutragen, müsse die SPD Konsequenzen ziehen. Finanzpolitik sei Bestandteil der Wirtschaftspolitik, und nicht umgekehrt, sagte Scholz gestern. Er kritisierte die Kürzung öffentlicher Investitionen, den Verzicht auf bauliche Instandhaltungen und die Sparpolitik im Hochschulbereich. Diese Versäumnisse der Vergangenheit seien auch der Finanzsenatorin anzulasten. Über die Entwicklung der Stadt müsse geredet werden. "Es kann nicht wieder nur die Botschaft ausgehen: Wie kommen wir mit dem Geld aus?"

Auch mehrere junge SPD-Kreisvorsitzende warnten in einem internen Diskussionspapier vor der "Dominanz des fiskalpolitischen Ansatzes". Darüber hinaus gehende Ansätze seien von der Partei- und Fraktionsspitze, aber auch den SPD-Senatoren ausgebremst worden. "Die Profilierung in wesentlichen Politikbereichen wurde erschwert."

Sollte Fugmann-Heesing das Finanzressort abgeben, werde sie in die private Wirtschaft wechseln, bestätigen Parteifreunde, die ihr nahe stehen. Sie wolle zwar nicht aus der Politik raus, werde im anderen Fall aber nicht ins Bodenlose fallen. Unterdessen beginnt die CDU, sich für das Finanzressort zu erwärmen. "Das ist ein Querschnittsressort - etwas, was man anstrebt", sagte der CDU-Haushaltsexperte Reinhard Führer. "Das Interesse ist vorhanden." Er regte an, die Verantwortung für das öffentliche Personal von der Innen- in die Finanzverwaltung des Senats zu verlagern. Dadurch bekäme das Finanzressort eine zusätzliche Gestaltungsaufgabe. Klaus Wowereit, haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, hält diesen Vorschlag für vernünftig. Fugmann-Heesing hatte einen solchen Ressortzuschnitt bereits 1996 angeregt, als sie in den Senat eintrat. Aber die CDU wollte ihr eine solche Machtfülle nicht zugestehen. Wowereit warnte gestern allerdings die eigene Partei, beide großen Querschnittressorts - Inneres und Finanzen - an die CDU abzugeben. "Das wäre dumm."

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