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Berlin: Nie wieder Krieg

Wilfried Püschel, Polizist, musste seine Leute in den Steinhagel schicken Die Einsätze in Kreuzberg empfand er immer als bedrückend

Das mit der „Nacheile“ wäre heute schwierig. Wilfried Püschel schaut einmal rund um den Heinrichplatz, prüft die Eingangstüren der Kneipen und besonders die Fenster. Thermopenscheiben, doppelt verglast. Das gab es vor 20 Jahren nicht. Wenn die Randalemacher in die „Rote Harfe“ oder eines der anderen Lokale geflohen waren und die Türen verrammelt hatten, sind die Polizisten durch die Fenster gegangen. Mit dem Schild die Scheiben eindrücken und durch. „War ja meistens einfaches Fensterglas.“ „Nacheile“ ist Polizeijargon und ersetzt das assoziationsreiche Wort „Verfolgung“.

Wilfried Püschel ist ein „Veteran“ des 1. Mai 1987, dem legendären Beginn der „revolutionären“ Mairandale, als die Barrikaden brannten, Geschäfte geplündert wurden, Feuerwehr und Polizei in die Flucht geschlagen waren, und viele Hausbesetzer im Alkoholrausch ihren Kiez demolierten. So lautet die Überlieferung, aber der 1. Mai kennt viele Wahrheiten. Püschel, damals Zugführer mit 80 Mann und zehn Fahrzeugen, kann sich an ein Interregnum ohne Polizei nicht erinnern. „Vielleicht zwischen 16 Uhr, als wir nach Hause geschickt wurden, weil alles friedlich war, und dem frühen Abend, als die Randale losging.“ Da wurden die Polizisten mühsam wieder per Telefon zusammengerufen. „Nach 1987 hat kein Polizeiführer mehr gewagt, seine Leute nachmittags nach Hause zu schicken.“

Püschel erinnert sich an viele fruchtlose Einsätze im Gebiet um die Oranienstraße. „Wenn die Meldung kam: ‚100 Vermummte blockieren Kreuzung‘, dann sind wir hin, aber vor Ort standen alle nur herum und rauchten. Es gab keine direkte Konfrontation. Es war ein Katz- und-Maus-Spiel auf einem genau definierten Spielfeld.“ Wobei die Polizei meistens das Nachsehen hatte. „Das war oft sehr frustrierend.“ Püschel hat den 1. Mai 1989 als wesentlich gravierender in Erinnerung. „Damals hatten wir weit über 100 Verletzte.“ Die zurückhaltende Strategie des rot-grünen Senats war von den Autonomen ausgenutzt worden. Püschels Zug wurde einmal in eine Nebenstraße geschickt, die durch eine brennende Barrikade abgesperrt war. Über die ersten Wannen ging ein Steinhagel nieder. Püschel musste entscheiden: Einigeln oder Gegenangriff. „Wir konnten nicht abschätzen, wie weit die Gegenseite gehen würde.“ Er gibt die Anweisung, rauszugehen und die Steinewerfer abzudrängen. Das gelang auch, aber der Einsatz forderte seinen Tribut. „Von 67 Leuten waren 36 verletzt, hauptsächlich Prellungen. Die Schutzkleidung war damals noch nicht so gut.“

Später wurden Püschels Männer an den Görlitzer Bahnhof gerufen. Dort war ein Wasserwerfer im Sand eingesunken. Die Besatzung war von einer johlenden Menge eingekesselt und wartete auf den Entsatz. Einkesseln, Entsatz – Wörter aus dem Krieg. Püschel versucht, solche Analogien zu vermeiden, aber er schafft es nicht. „Das war schon bedrückend. So hatte ich mir Polizeiarbeit nicht vorgestellt.“ Den 1. Mai 1990 machte Püschel noch aktiv mit, dann wurde er Ausbilder. Heute ist er hauptamtlich als Personalrat bei der Gewerkschaft der Polizei.

Dass damals auch Polizisten „ausgerastet“ sind und sich für Steinwürfe an Unschuldigen rächten, bestreitet Püschel nicht. Damals gab es keine Verhaltens- trainings. „Transportgriffe“ aus dem Kampfsport, um Randalierer zu bändigen, waren unbekannt. Auch etwas Positives kann er den Krawallen abgewinnen: „Es wurde nie geschossen.“ Püschel hat seit den 70er Jahren große Demos auf dem Ku’damm begleitet. Damals standen sich Polizei und Demonstranten noch in massiven Blöcken gegenüber. Es kam auch zu Ausschreitungen, aber immerhin, so Püschel, hätten die Protestler noch ein politisches Anliegen gehabt.

In seiner silbergrauen Joppe, passend zu den grauen Bartsträhnen, würde Püschel heute als bayerischer Tourist durchgehen, der leicht amüsiert Kreuzberger Straßenleben betrachtet. Püschel stammt aus Neukölln, wohnt aber in Hermsdorf. Mit der Kreuzberger Szene hat er privat nie zu tun gehabt. Auf Besuch kommt er gerne vorbei, kauft beim Türken ein, aber wohnen in SO 36, das würde nicht gut gehen.

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