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Berlin: Nie wieder niesen auf Wiesen Das fliegt

Heuschnupfen ist keine Bagatelle mehr – 15 Millionen Deutsche leiden darunter. Deshalb lassen die Forscher sich etwas einfallen: Schluckimpfungen statt Spritzen zum Beispiel. Und in etwa zehn Jahren wollen sie die Pollenallergie sogar heilen können

Am 6. Februar saßen die ersten Plagegeister in der Falle: Ein paar Erlen- und Haselnusspollen hatten sich auf dem Klebestreifen der Messstation verfangen und die diesjährige Heuschnupfensaison für Berlin und Brandenburg eröffnet.

Die Station auf dem Dach einer Potsdamer Hautarztpraxis gehört zum Messnetz des Deutschen Wetterdienstes, das die Pollenfluginformationen errechnet. Am Anfang aber steht immer Handarbeit: Eine Mitarbeiterin des Hautarztes zählt die gefangenen Pollen unter dem Mikroskop aus. Das Ergebnis von Anfang April: zwei Haselnuss-, zehn Erlen- und 30 Birkenpollen. Das bedeutet, dass die Haselnuss- und Erlenblüte gerade abklingt, die Birkenblüte dagegen eben erst beginnt.

Diese Daten aus Potsdam sind problemlos auf Berlin übertragbar, immerhin fliegen zum Beispiel Birkenpollen mehr als 20 Kilometer weit – und machen auf ihrem Weg den Allergikern schwer zu schaffen. Sie lösen im Körper die typischen Beschwerden des Heuschnupfens aus: juckende, gerötete Augen, triefende Nase und kribbelnde Rachenschleimhaut. Verantwortlich dafür ist ein überreiztes Immunsystem, das auf die ungefährlichen Pflanzenpollen gleich mit dem vollen Arsenal der Immunabwehr antwortet. Dabei reagieren die Antikörper auf Eiweißmoleküle auf der Pollenoberfläche.

Es ist immer noch ein Riesenproblem: Nur ein Bruchteil der schätzungsweise 15 Millionen Pollenallergiker in Deutschland lässt sich richtig behandeln, sagt Torsten Zuberbier, Leiter der Europäische Stiftung für Allergieforschung an der Charité. Das Ergebnis ist eine massive Einschränkung der Lebensqualität. Dabei könnten die Betroffenen mit den zur Verfügung stehenden Medikamenten – Antihistaminika in Form von Tabletten, Nasensprays und Augentropfen – die Symptome so weit im Griff halten, dass ein Wald- und Wiesenspaziergang seinen Schrecken verliert.

Zu den nur unzureichend genutzten Therapien gehört die Hyposensibilisierung. Jedes Jahr starten nach Angaben von Pharmaherstellern rund 200 000 Patienten in Deutschland eine solche Therapie – nur 1,3 Prozent der Betroffenen also. Dabei ist diese Behandlung anerkannt erfolgreich. Das Immunsystem wird durch ständig gesteigerte Dosen der allergieauslösenden Substanzen schrittweise an die Belastung gewöhnt und quasi stumm geschaltet. Das Problem: Die Behandlung ist zeitaufwendig. Die klassische Hyposensibilisierung besteht aus 16 im Wochenabstand vom Arzt verabreichten Injektionen. Ist die Höchstdosis erreicht, muss sie alle sechs bis sieben Wochen aufgefrischt werden.

Die Erfolgsquote einer solchen Behandlung liegt bei 90 Prozent – wobei Erfolg nicht immer bedeutet, dass die Beschwerden vollständig verschwinden; das geschieht nur bei einem kleinen Anteil der Behandelten. Ein Erfolg ist es aber auch schon, wenn verhindert wird, dass aus Pollenallergikern im Laufe der Jahre schwer kranke Asthmatiker werden. Außerdem brauchen viele nach einer Hyposensibilisierung weniger Medikamente, um die Symptome im Griff zu behalten.

Wer Angst vor so vielen Spritzen hat, kann das Medikament zur Hyposensibilisierung auch als Tropfen einnehmen. Der Vorteil: Es ist nicht nötig, den Arzt bei jeder Medikamentengabe aufzusuchen. Bisher galt diese Methode immer als weniger erfolgreich als die Spritze. Doch eine Studie im Auftrag der Pharmaindustrie wies nun nach, dass beide Methoden ähnliche Resultate aufweisen. Allerdings sei das noch kein ausreichender Beweis, sagt der Allergologe Zuberbier. „Hier muss weiter geforscht werden.“

Geforscht werden muss auch über die Ursachen der fatalen Fehlreaktion des Immunsystems – immer noch zu einem großen Teil ein Rätsel. Gerade haben Wiener Wissenschaftler entdeckt, dass Medikamente, die zum Beispiel bei Patienten mit Sodbrennen zur Hemmung der Magensäure eingesetzt werden, Nahrungsmittelallergien begünstigen. Ein anderes Forschungsergebnis aus München glaubt, dass der viel diskutierte Dieselruß in der Luft die Pollen so verändern könnte, dass diese noch aggressiver Allergien auslösen. Außerdem könnten die feinen Staubpartikel die Allergene bis in die kleinsten Atemwege transportieren, wo sie heftige Asthmaattacken hervorrufen.

Die Forscher können aber auch positive Nachrichten vermelden: Bisher ging es eher darum, die Symptome des Heuschnupfens auf ein erträgliches Maß zu mildern oder wenigstens eine Verschlimmerung zu verhindern, bald aber könnten Allergien heilbar sein. Denn nun sind die Grundlagenforscher dem Geheimnis der „regulatorischen T-Lymphozyten“ auf der Spur, jenen Zellen im menschlichen Immunsystem also, die nach der biochemischen Signatur eines Fremdstoffes – Nahrung, Pollen, Viren – „entscheiden“, ob eine Gefahr besteht und die Immunabwehr eingreifen muss. „Bei Allergikern treffen diese Zellen aufgrund des biochemischen Mikroklimas um sie herum die falsche Entscheidung“, sagt Charité-Allergologe Zuberbier. Nun bestehe die Hoffnung, dass in einigen Jahren – Zuberbier schätzt: zehn bis 15 Jahre – eine Therapie zur Verfügung steht, die die Biochemie so beeinflusst, dass die Immunzellen wieder die richtige Entscheidung treffen. Vielleicht könnten die Pollenfallen eines Tages tatsächlich überflüssig sein.

Allergie-Centrum der Charité: im Internet unter www.allergie-centrum-charite.de. Telefonische Anmeldung für erwachsene Allergiker unter 45051 8058. Patientenhotline für Kinder und Jugendliche: 45056 6417 (Mo. bis Do. 9-13 Uhr)

Die Kassenärztliche Vereinigung Berlin bietet eine Datenbank mit Berliner Kassenärzten an. Hier kann man gezielt nach Allergologen suchen: www.kvberlin.de

WANN FLIEGT WAS?

Januar : Hasel

Februar : Erle, Hasel

März : Erle, Pappel, Weide

April : Birke, Eiche, Erle, Esche, Flieder, Gräser, Pappel, Raps, Ulme, Weide

Mai : Birke, Eiche, Flieder, Gerste, Gräser, Hafer, Hainbuche, Holunder, Hopfen, Linde, Roggen, Raps, Rotbuche

Juni : Brennnessel, Gerste, Glatthafer, Gräser, Hafer, Jasmin, Liguster, Linde, Mais, Raps, Roggen

Juli : Beifuß, Brennnessel, Glatthafer, Gräser, Liguster, Mais, Raps, Roggen

Aug .: Beifuß, Brennnessel, Gräser, Glaskraut, Glatthafer, Mais, Raps, Roggen

Sept .: Beifuß, Brennnessel, Gänsefuß, Glaskraut, Glatthafer, Gräser, Mais

Oktober : Brennnessel, Gräser

OHNE PILLEN GEGEN POLLEN

Was kann man tun, um den Pollen gar nicht erst in die Quere zu kommen? Nicht bei geöffnetem Fenster schlafen. Und wenn doch, dann um vier Uhr früh schließen, da beginnt der Pollenflug. Urlaub in pollenfreien Gebieten: Hochgebirge, Mittelmeer, Nordseeinseln . Wer spazieren geht, sollte einen Laubwald vorziehen, er filtert Wiesenpollen. Danach gleich Haare waschen . Luftfilter kaufen. Weder Kräutertee trinken noch Honig essen. Da sind Pollen enthalten.

Auch Akupunkteure und Homöopathen behaupten, dass ihre Therapien gegen Pollenallergien wirken. Mit Datenbanken im Internet helfen die Berufsverbände: Deutsche Ärztegesellschaft für Akupunktur (www.daegfa.de) und Deutscher Zentralverein homöopathischer Ärzte (www.dzv.de) rcf,I.B.

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