zum Hauptinhalt
Keine Autos mehr. Die Parkspur ist seit Mittwoch ein Radweg.

© Kitty Kleist-Heinrich

Nie wieder Parkplätze am Kottbusser Damm: Wie Kreuzberg die Coronakrise für Radwege nutzt

Ein Bezirk schafft Fakten. Schon morgen soll der Radweg am Kottbusser Damm beidseitig fertig sein - und er wird bleiben.

Auf dem Kottbusser Damm und der Kottbusser Straße werden nie wieder Autos parken. Das sagte am Mittwoch der Chef des Straßenbauamts, Felix Weisbrich. Schon am Donnerstag soll der provisorische Radweg zwischen Hermannplatz und Kottbusser Tor fertig sein, beidseitig und auf ganzer Länge. 

Auch nach Ende der Coronakrise wird er nicht wieder zurückgebaut, sagte der Amtsleiter. Im Sommer sollen die derzeit noch gelben Linien, die den Radweg von der Straße trennen, gegen weiße getauscht werden, die Baustellenbaken gegen feste Poller. Innerhalb weniger Stunden veränderte der Straßenzug sein Gesicht völlig, nachdem Jahrelang diskutiert worden ist. 

Radfahrer mussten Slalom um die Falschparker fahren

Früher parkten rechts Autos, und zwar gratis. Lieferwagen und Privatwagen blockierten illegal in der "zweiten Reihe" parkend eine der beiden Autospuren. Für fahrende Autos blieb die linke der beiden Fahrspuren, Radfahrer mussten Slalom um Falschparker fahren. Die Polizei hatte im Jahr 2017 versucht, gegen das illegale Parken in der Straße vorzugehen - erfolglos. Peter Broytman von der Verkehrsverwaltung kommentierte den Vorgang auf Twitter: "Heute zähmen wir dieses gefährliche Biest. Für mich und alle Beteiligten ein Herzensprojekt, das uns einigermaßen glücklich macht."

Ab Donnerstag wird es so aussehen: Statt der Parkplätze gibt es einen Radweg. Auf der rechten Fahrbahn werden Lieferzonen, Behindertenplätze und Taxistände platziert. Für fahrende Autos bleibt, wie gehabt, die linke Fahrbahn. Den Umbau hatte der Bezirk Ende 2019 für Sommer 2020 angekündigt - durch die Auswirkungen der Coronakrise ging es nun viel schneller. Und schöner wurde es auch. Der Bezirk nutzte die Markierungsarbeiten, um die Straßenbäume zu schneiden, die Baumscheiben zu entrümpeln, aufzulockern und zu wässern.

Hintergrund-Informationen zum Coronavirus:

Neu ist nicht nur das hohe Tempo, das der Bezirk vorlegt. Bemerkenswert ist auch, dass die Radwege beidseitig und durchgehend sind. Bislang gab es in Berlin separate Radwege nur dann, wenn Autofahrern genug Platz blieb, vor allem auf Hauptstraßen. Radwege endeten immer dann, wenn der Autoverkehr, auch der "ruhende", irgendeine Einschränkung erfahren hätte. Sie scheiterten entweder am Protest von Anwohnern oder am fehlenden Mut in den Behörden. Dass es auch ganz einfach geht, hat nun Weisbrich gezeigt: "Ein Anrecht auf kostenlosen Parkplatz im öffentlichen Raum gibt es nicht." Für den Amtsleiter helfen die neuen Radwege gleichzeitig gegen zwei Probleme: Die Coronakrise und die Klimakrise. Und auch Fußgänger profitieren - weil ängstliche Radfahrer nicht mehr auf dem Gehweg radeln.

Geparkte Autos wurden abgeschleppt

Parkende Autos bekamen nun einen Brief des Bezirks hinter den Scheibenwischer, mit der Aufforderung, den Platz zu räumen. Wer stehen blieb, wurde ab 6 Uhr früh am Mittwoch abgeschleppt. Anwohnern des Kottbusser Damms wurde in dem Schreiben angeboten, dass Plätze im Parkhaus am Herrmannplatz vergünstigt zu mieten sind. Dieses Parkhaus steht dauerhaft zu zwei Dritteln leer, teilte der Bezirk mit. Statt 39 Euro müssen nur 15 Euro monatlich gezahlt werden. 

[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Der Erfinder des Volksentscheid Fahrrad, Heinrich Strößenreuther, hatte immer wieder darauf hingewiesen, dass zahlreiche Berliner Parkhäuser leer stehen und gleichzeitig illegal auf Rad- und Gehwegen geparkt wird. Vor wenigen Tagen hatte Friedrichshain-Kreuzberg angekündigt, in dieser Woche an drei Straßenzügen weitere 4,5 Kilometer "Corona-Radwege" zu schaffen, neben Kottbusser Damm / Kottbusser Straße auch am Tempelhofer Ufer und in der Möckernstraße. Hier habe es leider Probleme gegeben, sagte Weisbrich, die Straße sei nun übernächste Woche dran. 

Auch an der Frankfurter Allee sollen Radwege entstehen

Man arbeite derzeit im Wochenrhythmus: "Eine Woche nachdenken, eine Woche bauen." Übernächste Woche sollen Radwege an der Frankfurter Allee (stadteinwärts zwischen Samariterstraße und Proskauer Straße) und an der Holzmarktstraße entstehen. 

Begonnen hatte es vor vier Wochen am Halleschen Ufer mit einer längeren Stück Radweg. Am Kottbusser Damm sollen die Warnbaken alle fünf Meter aufgestellt werden, hieß es. Am Halleschen Ufer waren die Abstände größer, regelmäßig quetschten sich Autofahrer deshalb dazwischen auf den Radweg. Weisbrich kündigte am Mittwoch an, dass das Ordnungsamt verstärkt kontrollieren und abschleppen lassen werde.

In zwei Tagen drei Kilometer Radweg. Kreuzberg macht Tempo.
In zwei Tagen drei Kilometer Radweg. Kreuzberg macht Tempo.

© Jörn Hasselmann

Viel Lob und sogar Blumen

Seit Tagen schwappen Lobeshymnen durch die sozialen Netzwerke. Der Bundesvorsitzende des ADFC, Burkhard Stork, twitterte: "OMG! Was ist nur los? Sie machen wirklich alles richtig." Örtliche Radaktivisten lobten: "Ein Traum wird wahr" - und verteilten Blumen an die Arbeiter.

Vor einer Woche hatte Friedrichshain-Kreuzberg eine Art juristischen Ratgeber für die anderen Bezirke veröffentlicht. Darin wird der "Corona-Radweg" so begründet: „Die Notwendigkeit für die schnelle Anordnung von Radfahrstreifen ergibt sich aus der Pandemiesituation als einer Gefahrenlage auch abseits des Verkehrsrechts: Da die existente Radverkehrsinfrastruktur nicht umfassend geeignet ist, die Abstands-Vorschriften zu befolgen, liegt eine Gefährdung des höheren Rechtsgutes der körperlichen Unversehrtheit vor.“ Zuvor hatte die Verkehrsverwaltung einen Leitfaden für provisorische Radwege veröffentlicht, der weite Beachtung fand. So übersetzten ihn Aktivisten schon ins Französische.

Der Macher: Amtsleiter Felix Weisbrich am Kottbusser Damm.
Der Macher: Amtsleiter Felix Weisbrich am Kottbusser Damm.

© Jörn Hasselmann

Die Frage, wieso Friedrichshain-Kreuzberg der bislang einzige handelnde Berliner Bezirk ist, mochte Weisbrich nicht beantworten. Der Leiter des Straßen- und Grünflächenamts lobte stattdessen die hervorragende Unterstützung durch die Verkehrsverwaltung. 

Mehrere Bezirke hatten Ideen für provisorische Radwege

Wie berichtet, haben mehrere Bezirke Ideen für provisorische Radwege artikuliert, passiert ist aber sonst nirgends etwas. Am weitesten scheint jetzt Charlottenburg-Wilmersdorf zu sein, der Bezirk hatte sechs Straßen vorgeschlagen, darunter die Kantstraße. 

Dort war im Februar ein Radfahrer getötet worden. Der ADFC forderte am Mittwoch die anderen Bezirke auf, endlich auch zu handeln.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false