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Zwei Polizeibeamte patrouillieren nebeneinander am Alexanderplatz.

© Christoph Soeder/dpa

„Nirgends gab es einen Tropfen Desinfektionsmittel“: Polizei und Justiz nehmen Hygieneregeln nicht immer so genau

Leser berichten von Polizeikontrollen ohne Abstand und Gerichtsälen ohne Desinfektionsmittel. Wie sind die Regeln für Exekutive und Jurisdiktion?

Von Fatina Keilani

Abstand halten, Mundschutz beim einkaufen, Bus- und Bahnfahren. Die Regeln zur Eindämmung des Coronavirus sind oft schwer einzuhalten – sei es weil alte Gewohnheiten sich einschleichen, zu wenig Platz ist, oder die Maske in der anderen Jacke steckt.

Viel Berliner zeigen sich auch frustriert über die Maßnahmen, gehen auf die Straße und demonstrieren. Innensenator Geisel hat er diese Woche angemerkt, dass die Berliner der Regeln überdrüssig werden.

Aber wie ist es denn bei denen, die die Einhaltung der Regeln kontrollieren? Über den laxen Umgang staatlicher Stellen mit der verordneten Hygiene hatte sich eine Leserin gewundert. Sie schrieb dem Tagesspiegel von zwei Polizeikontrollen, die sie beobachtet habe.

Beide Male hätten der Beamte weniger als einen halben Meter Abstand von der kontrollierten Person gehalten und sich regelrecht ins Auto gelehnt, um die Papiere der kontrollierten Person entgegenzunehmen.

Polizisten müssen keine Masken tragen

Nachfrage bei der Polizei ergab: Polizisten sind nicht verpflichtet, eine Maske zu tragen. Sie sind aber „angehalten“, in allen dienstlichen Situationen die allgemeinen Hygieneregeln und den Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten.

Wenn das nicht möglich ist, soll eine FFP2-Maske getragen werden, besonders wenn Kontakte der Kategorie I („mehr als 15 Minuten beengter Kontakt oder direkter Kontakt zu Sekreten oder Körperflüssigkeiten“) bestehen.

Demnach steht es stark im Ermessen des Einzelnen, inwieweit er eine Schutzmaske trägt. Die Kontrolle etwa von Führerschein und Fahrzeugpapieren kann ja nicht mit 1,50 Metern Abstand stattfinden - so lange Arme hat niemand. Und wie sieht es bei der Justiz aus? Langsam fährt sie ihren Betrieb wieder hoch. Doch kann es gutgehen, wenn in relativ engen Gerichtssälen die Parteien dicht beieinander sitzen? Insbesondere im Strafprozess sind meist viele Personen anwesend: Staatsanwalt, Verteidiger (oft mehrere), Richter, Schöffen, Zeugen, dazu Nebenklagevertreter, die Familie des Angeklagten, die Öffentlichkeit, die Presse.

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Staatsanwalt berichtet, man dürfe jetzt wieder den Großteil seiner Arbeitszeit im Gebäude verbringen, einen Mundschutz müsse man dabei nicht tragen. In den Verhandlungen säßen Angeklagter und Verteidiger oft wirklich gefährlich nah beieinander, und auch die Justizwachtmeister stünden oft eng beisammen. Es gebe jedoch auch Schutzmaßnahmen wie Aufsteller aus Plexiglas als Spuckschutz.

Schöffe berichtet von Missständen bei Gericht

Ein Schöffe des Amtsgerichts Tiergarten hat sich beim Tagesspiegel gemeldet, weil ihm beim Zugang zum Gericht mehrere Missstände auffielen: „Schon im Eingangsbereich (linksseitig Besucher und Zeugen, rechtsseitig Anwälte, Richter und Schöffen) war eine Traube von Menschen zur Sicherheitskontrolle“, schreibt der ehrenamtliche Richter, der anonym bleiben will.

„Ein Justizmitarbeiter führte für beide Seiten den Einlass durch. Ohne Schutz. Keinerlei Hinweise zum Abstand – keine Informationen für Besucher, Zeugen und Mitarbeiter. Ich war von den Eintretenden der einzige mit Mundschutz. Ich war verwirrt, da ich wochenlang jeglichen Kontakt vermieden habe und auf Distanz zu anderen Menschen gegangen bin. Der Justizvollzugsbeamte war den ankommenden Personen natürlich sehr nahe, weil jeder ja Ladung und Ausweis zeigen muss.“

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Im Saal habe die gesamte Verhandlung ohne irgendeine Hygieneregel stattgefunden, wie zu Zeiten ohne Corona, nur dass der Vorsitzende es den anderen Richtern freigestellt habe, wohin sie sich setzen.

Eine Schöffin setzte sich auf den Platz der Nebenklage, ansonsten saßen alle dicht an dicht. „Untersuchungsgefangener und Verteidiger redeten eng miteinander, drei Justizvollzugsbeamte saßen beisammen, Zuhörer saßen beisammen“, schildert der Schöffe.

„Nirgends gab es einen Tropfen Desinfektionsmittel. In den öffentlichen Toiletten gab es zum Glück Seife, aber kein Papier, nur dieses Endloshandtuch, das man anfassen muss, um es weiterzuziehen.“

Gerichtssprecherin Lisa Jani kann die Schilderung so nicht bestätigen. Die Situation sei in der Tat eine riesige Herausforderung. Das wichtigste das Abstandsgebot – und dieses werde eingehalten. Mit dem arbeitsmedizinischen Dienst seien Sitzpläne erarbeitet und Abstände ausgemessen worden.

Kein Desinfektionsmittel ist gut – argumentiert das Gericht

„Der Richter hat in seinem Saal die Sitzungspolizei und kann daher selbst regeln, ob zum Beispiel Mundschutz getragen werden muss“, sagt Jani. „Wir haben aber im ganzen Gebäude strenge Hygieneregeln aufgestellt, die auch beachtet werden. Um das zu erreichen, sind wir sehr kreativ. Speziell um den Abstand einzuhalten, werden nun auch Presse- und Zuschauerplätze für die Verhandlung genutzt.“

Dass es kein Desinfektionsmittel gebe, sei hingegen gut – es sei zugleich ein wunderbarer Brandbeschleuniger. Erst kürzlich war auf den Toiletten in Moabit Feuer gelegt worden. „Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn dort Desinfektionsmittel vorhanden gewesen wäre“, so Jani. Das wichtigste sei weiterhin: Händewaschen und Abstand halten.

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