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Berlin: Notaufnahmelager Mariendorf: Alles ist besser, als zu bleiben

"Ich möchte am liebsten weg sein. Und bliebe am liebsten hier.

"Ich möchte am liebsten weg sein. Und bliebe am liebsten hier." Das Zitat von Wolf Biermann aus dem Jahr 1976 beschreibt treffend die paradoxe Situation der deutschen Teilung und so hat es auch Eingang gefunden in die Ausstellung, die seit gestern in der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde zu sehen ist. "Von Deutschland nach Deutschland - Flucht und Ausreise aus der SBZ / DDR 1945 bis 1989" lautet ihr programmatischer Titel, gezeigt wird auf 22 Schautafeln die Geschichte der deutschen Teilung: Faksimiles von Ausreiseanträgen, Ausbürgerungsurkunden, Zeitzeugen erzählen Geschichten von gelungenen und gescheiterten Fluchtversuchen.

Konzipiert wurde die Wanderausstellung von der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn in Sachsen-Anhalt, der einzigen fast vollständig erhalten gebliebenen Grenzübergangsstelle an der ehemaligen Demarkationslinie. Dort war sie auch im vergangenen Jahr erstmalig zu sehen - an die 50 000 Besucher kamen - bevor sie über mehrere Stationen unter anderem im Stasi-Untersuchungsgefängnis "Roter Ochse" in Halle nach Marienfelde kam, wo sie bis zum zehnten Jahrestag der Wiedervereinigung am 3. Oktober zu sehen sein wird. Das Notaufnahmelager war ein Nadelöhr auf dem Weg in den Westen, das von 1953 bis 1990 von etwa 1,35 Millionen Flüchtenden und Übersiedlern passiert wurde; heute werden die Anlagen als zentrale Berliner Aufnahmestelle für Aussiedler genutzt.

Seit 1993 betreut ein Verein dort auch eine ständige Ausstellung, aus der weitere Exponate beigesteuert wurden: Ein doppelstöckiges Bett mit grauen Wolldecken, aufgetürmte Sperrholzkoffer und eine ganze Wanne voller Stempel vermitteln einen Eindruck von der Situation der Menschen und dem Alltag im Lager.

Der Ort sei ein Symbol für die Geschichte der Menschen im Osten und im Westen, sagte die Staatssekretärin in der Berliner Sozialverwaltung, Ingeborg Junge-Reyer, als sie die Ausstellung eröffnete. Denn das Lager sei auch für Westberliner ein Fokus gewesen, an dem sie den Grad ihrer eigenen Betroffenheit von historischen Ereignissen hätten ablesen können. Und der sachsen-anhaltinische Staatssekratär im Innenministerium, Rainer Holtschneider, erinnerte an die vielen Toten der gescheiterten Fluchtversuche: "Allein diese tausend Toten sind es wert", sagte er, "dass man das Geschehen in Erinnerung behält."

Insbesondere Schulklassen sind aufgerufen, sich in der Ausstellung die jüngsten Ereignisse deutscher Geschichte vor Augen halten zu lassen; die Schulverwaltung hat an alle Schulen diesbezügliche Empfehlungen verschickt. "Bei einem Durchschnittsalter von 50 Jahren sind die Berliner Lehrer auch Zeitzeugen der Epoche", sagte Oberschulrat Gerhard Nitschke und forderte sie auf, die Ausstellung in den Unterricht einfließen zu lassen. Ein weiteres Zitat aus der Ausstellung mag vielleicht den Schülern eindringlich vor Augen halten, wie unhaltbar die paradoxe Situation der deutsche Teilung tatsächlich war: "Auch wenn es miese Säcke sind, die da weggehen", äußerte sich Erich Mielke noch im August 1989, "bleibt die Tatsache, dass Arbeitskräfte weggehen."

Alexander Pajevic

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