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Berlin: Notizen aus einer ruinierten Stadt

Bei Kennedys Berlin-Besuch 1963 tobte der Kalte Krieg. Dessen Entstehung hatte der US-Präsident miterlebt – 1945 als Beobachter bei der Potsdamer Konferenz

Berlin war ein Alptraum, eine Stadt der Ruinen, in deren Straßen süßlicher Leichengestank hing. Mit bleichen, gelblichen Gesichtern zogen die Bewohner durch die Stadt, völlig ziellos, wie der Besucher aus Amerika in sein Tagebuch notierte: „Alle tragen sie Bündel mit sich. Wohin sie gehen, scheint keiner zu wissen. Ich frage mich, ob sie es selbst wissen.“ Kein einziges Gebäude war beim Kampf unbeschädigt geblieben, immerhin waren die großen Straßen halbwegs freigeräumt, darunter auch, wie er schrieb, der Boulevard „Unter der Linden“. Sein Deutsch war nun mal mehr als mäßig, das konnte er noch 18 Jahre später nicht leugnen, als er sich vor einer jubelnden Menschenmenge selbst zum Berliner erklärte.

Das war auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, dessen Entstehung John F. Kennedy im Sommer 1945 unmittelbar miterleben konnte – als Beobachter der Potsdamer Konferenz. Für kurze Zeit kamen damit drei Männer zusammen, die fast zwei Jahrzehnte lang die amerikanische und damit die Weltpolitik prägen sollten: Truman als amtierender, General Eisenhower als nächster und Kennedy als übernächster Präsident.

Es war der dritte Berlin-Besuch des damals 28-jährigen Kennedy. 1937 und 1939 hatte er die deutsche Hauptstadt unter den Nazis erlebt, jetzt sah er sie kurz nach ihrer Aufteilung in die vier Kontrollzonen der Siegermächte. In London hatte er als Reporter für die Blätter des amerikanischen Verlegers Hearst über Churchills erfolglose Kampagne zur Wiederwahl berichtet, war danach von US-Marineminister Forrestal, einem Freund der Kennedy-Familie, eingeladen worden, ihn auf einer Reise nach Berlin und Potsdam zu begleiten. Auch die Kennedy-Ausstellung, die heute im Deutschen Historischen Museum eröffnet wird, geht auf diese Episode ein.

Am 28. Juli, gegen drei Uhr nachmittags, traf die Reisegesellschaft mit der C-54 des Ministers in Gatow ein, anschließend ging es sofort nach Potsdam zu Trumans „Little White House“ in der Babelsberger Karl-Marx-Straße. Nach einem kurzen Gespräch zwischen Präsident und Minister fuhr man zurück nach Berlin, zu einer Villa am Kleinen Wannsee, einem „wunderbar eingerichteten Haus mit herrlicher Lage an einem wundervollen See“, wie Kennedy im Tagebuch schwärmte.

Schon am Morgen des 30. Juli flog er weiter nach Bremen, nicht mal zwei ganze Tage blieben ihm also, die Kennedy gut genutzt hat. Sein Tagebuch berichtet nicht allein von einer Besichtigung der Stadt samt der Reichskanzlei und dem Hitler-Bunker. Nach zahlreichen Gesprächen, darunter mit dem Leiter der amerikanischen Militärregierung und einer jungen Berlinerin, liefert Kennedy erstaunlich präzise und weitsichtige Analysen der Lage Berlins und des sich andeutenden Ost-West-Konflikts. Er schildert die massiven Plünderungen und Vergewaltigungen, denen die Zivilbevölkerung ausgesetzt war, berichtet von der weit verbreiteten Meinung, dass die Russen ihren Teil Deutschlands zu einer „sowjetischen sozialistischen Republik“ umwandeln wollen, und lässt keinen Zweifel, dass er diese Meinung teilt. Die Perspektiven für Berlin schätzt er dabei als ausgesprochen schlecht ein: „Wenn Deutschland in vier Verwaltungseinheiten geteilt bleibt, wird Berlin eine ruinierte und unproduktive Stadt bleiben. Auf jeden Fall wird es viele Jahre dauern, bis Berlin die Trümmer wegräumen kann und Material zum Wiederaufbau bekommt.“

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