zum Hauptinhalt

Berlin: NPD-Demo: Blockade? - Eher nicht! Doch im Scheunenviertel lässt sich niemand einschüchtern

Eigentlich kann sich kaum jemand vorstellen, dass sie wirklich kommen. "Wieviele werden es denn?

Eigentlich kann sich kaum jemand vorstellen, dass sie wirklich kommen. "Wieviele werden es denn?", fragt ein Anwohner der Auguststraße, lässig einen Fahrradrahmen geschultert. Nein, richtig ernst nehmen kann er die NDP-Demo nicht. Und auch die von der Jüdischen Gemeinde angedrohte Blockade in der Oranienburger Straße hält er eher für einen unpassenden Abklatsch einer 20er-Jahre-Revolte. Eigentlich weiß er noch nicht, was er morgen machen wird und ob es nicht das Beste wäre, den Aufmarsch einfach zu ignorieren. Aber ob das geht, die Nazis im ehemals jüdischen Scheunenviertel einfach zu übersehen, da ist er unsicher. Schließlich fällt hier schon ein einzelner Bomberjackenträger überdeutlich auf.

Die Spandauer Vorstadt ist zwar nicht mehr das alte Scheunenviertel, dafür aber ein Multikultiossiwessimix mit einem kräftigen Schuss Bohème und Egozentrik. Da sind Uniformierte nur im Rahmen einer Performance denkbar. Mal abgesehen von den Polizisten vor der Synagoge in der Oranienburger Straße. Sechs fröstelnde Beamte und ein Panzerwagen schützen die goldene Kuppel. An dieses Bild hat man sich im Viertel gewöhnt. Selbst Touristen wundern sich nicht mehr. Zu einer jüdischen Einrichtung gehören nun mal Wachleute. Juden, womöglich eindeutig identifizierbare orthodoxe Juden, erwartet hier niemand. Grafik: Einrichtungen im Scheunenviertel Das Scheunenviertel, dem im Holocaust die Bewohner geraubt wurden, leidet unter einer Art Phantomschmerz. Es möchte wieder jüdisch sein, ehrt die mosaischen Symbole, Gedenkstätten und Bauten, doch das Leben in den Häusern und Straßen handelt von anderen Dingen. Wenn die NPD durchs Scheunenviertel marschiert, beschädigt sie die jüdischen Symbole, aber nicht ihre Bewohner. Deshalb fühlen sich diese auch seltsam unbeteiligt. Atilla, der türkische Barkeeper im Café Orange, fürchtet sich nicht vor den Nazis. Er wird das große Panoramafenster nicht mit Trauerflor verhängen oder gar mit Brettern dichtnageln. Schlimm findet er, dass die NPD überhaupt marschieren darf. Zur Gegendemo will er gehen, aber eine Blockade? Da muss auch Atilla nachsichtig lächeln. Dazu ist es einfach zu friedlich hier.

Also findet der energische Widerstand wohl hauptsächlich auf den Plakaten statt. Die Parteien der BVV Mitte rufen alle Berliner auf, sich dem Aufmarsch entgegenzustellen. Blockiert ist heute nur der Bäcker in der Sophienstraße. Alles andere geht seinen gewohnten Gang. An der Ecke Oranienburger, Große Hamburger Straße weht die amerikanische Fahne. Das Restaurant "The Sixties" hat mit der jüdischen Vergangenheit des Ortes wahrscheinlich nichts zu tun. Ein dunkelhäutiger Kellner schließt gerade sein Fahrrad ab. "NPD-Aufmarsch? Hier lang? Cool. Why?"

Zur Startseite