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Berlin: Nur aufmunternde Briefe

Als die Mitarbeiter der Berliner Landesgeschäftsstelle der Grünen am Montag ihre Post sortierten, waren sie erleichtert. "Es war kein einziger Austrittsbrief dabei", sagt ein Mitarbeiter mit froher Stimme.

Als die Mitarbeiter der Berliner Landesgeschäftsstelle der Grünen am Montag ihre Post sortierten, waren sie erleichtert. "Es war kein einziger Austrittsbrief dabei", sagt ein Mitarbeiter mit froher Stimme. Dabei hatte er das Schlimmste erwartet: "Ich dachte, da liegt wegen der Abstimmung am Freitag ein Stapel Kündigungen im Briefkasten." Stattdessen fand er "aufmunternde Briefe" von Parteimitgliedern. "Da haben wir uns schon ein bisschen gewundert."

So geht es offenbar den pazifistisch geprägten Berliner Grünen zunehmend wie den Parteifreunden in anderen Landesverbänden und in der Bundestagsfraktion: Bauchschmerzen wegen der vom Kanzler erzwungenen Zustimmung zum Afghanistan-Einsatz hat man schon. Deswegen gleich die Beziehung aufkündigen, will man aber nicht. Das werden die Berliner auch am kommenden Wochenende beim Bundesparteitag in Rostock deutlich machen, erwartet der Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Matthias Tang: "Es würde mich nicht wundern, wenn die Mehrheit unserer Delegierten für einen Verbleib in der Bundesregierung stimmt." Zwar habe der Landesverband erst vor knapp zwei Wochen das Afghanistan-Mandat für die Bundeswehr abgelehnt. Deswegen jetzt die rot-grüne Regierung kippen, wolle aber kaum einer - "trotz der Bauchschmerzen".

"Ich bin innerlich zerrissen", sagt zum Beispiel Katharina Reuter, Grünen-Verordnete in der Bezirksverordnetenversammlung Mitte. "Einerseits kann ich diese Politik nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren. Andererseits gibt es ja zum Beispiel in der Landwirtschaftspolitik auch Erfolge der Grünen in der Bundesregierung, wegen derer ich für die Fortsetzung der Koalition bin." Dietmar Lingemann, Fraktionsvorstand im linken Bezirksverband Friedrichshain-Kreuzberg, erwartet einen Meinungsumschwung der Berliner Grünen aus schlichtem Überlebenswillen heraus: "Die Vertrauensfrage stellt uns vor eine neue Situation", sagt der überzeugte Gegner eines Bundeswehreinsatzes. "Gerhard Schröder will die Achse zur FDP öffnen." Da müssten sich auch die Berliner Landesgrünen fragen, wie sie politisch überleben und der Partei auch bei der nächsten Bundestagswahl noch über fünf Prozent verhelfen können: "Mit einer platten Anti-Kriegs-Entscheidung wird uns das kaum gelingen."

Mit ähnlich ambivalenten Gefühlen werden am Wochenende auch viele andere Berliner Grüne zum Bundesparteitag reisen. "Der Riss geht quer durch die Kreisverbände", sagt Wolfgang Erichson, Fraktionschef der Grünen in Tempelhof-Schöneberg. Er ist einer der rund 50 gewählten Delegierten, die für die Berliner Grünen in Rostock abstimmen werden. Da er der Meinung ist, dass die Partei in der Bundesregierung immer noch mehr erreicht als außerhalb, will auch Erichson dem Anti-Terror-Einsatz der Bundeswehr zustimmen. "Ich hoffe aber, dass wir einen Beschluss hinbekommen, der neben der Zustimmung zum Bundestagsvotum ausdrücklich die Minderheitenposition dagegen berücksichtigt."

Sollte dieser "schmerzhafte Kompromiss" nicht gelingen, befürchtet Erichson eine Zerreißprobe auch für die Berliner Grünen: "Wenn der linke, pazifistische Flügel sich in dem Beschluss nicht wiederfindet, könnte das bei uns zu vielen Austritten führen." Erichson hofft, dass diesen politischen Spagat auch die Wähler nachvollziehen können: "Wer Grün wählt, wählt damit eben auch die Zerrissenheit zwischen Realpolitik und Grundsätzen."

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