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Berlin: Nur Bundeshilfe kann Berlin noch retten

Keine Opern, keine Kitas, keine BVG: Ein Finanzgutachten für das Bundesverfassungsgericht kommt zu dramatischen Ergebnissen

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Wenn der Senat nicht eisern spart und der Bund nicht großzügig hilft, wird Berlin ins finanzielle Chaos treiben und vom Staatskommissar regiert. Dann wird die Schuldenlast irgendwann so hoch, dass die Hauptstadt ein Viertel ihrer öffentlichen Leistungen nicht mehr bezahlen kann, warnt die renommierte Wirtschaftswissenschaftlerin Gisela Färber in einem Gutachten für das Bundesverfassungsgericht. Das könne sogar die „Eigenstaatlichkeit“ Berlins gefährden.

Nicht nur „freiwillige Aufgaben, zum Beispiel im Bereich der Kultur“ müssten dann wegfallen, steht in der 114 Seiten starken Analyse, die dem Tagesspiegel vorliegt. Es drohten auch „erhebliche Einschnitte bei Essentiellem“. Denn große Ausgabenblöcke seien durch Bundes- und Europarecht gebunden. „Landeseigene Ausgaben müssten um so stärker gekürzt werden“. Das sind zum Beispiel: Zuschüsse für die BVG, Opern und Kindertagesstätten. In diesem Fall sei damit zu rechnen, dass leistungsfähige Bevölkerungsschichten aus Berlin abwanderten, schreibt die Gutachterin. Dann würden 2030 auf jedem Berliner 76000 Euro Schulden lasten. Zurzeit sind es 14000 Euro. „Im Fall unterlassener Konsolidierung erreicht Berlin in diesem Jahrhundert nicht den Haushaltsausgleich.“

Sollten sich die Dinge so entwickeln, hätte dies „nicht nur Folgen für den Stadtstaat, sondern auch für die anderen Ländern und den Bund, wenn nicht sogar für die gesamte Volkswirtschaft.“ Das sollen die Richter in Karlsruhe wissen, die sich in nächster Zeit mit der Klage Berlins auf Sanierungshilfen des Bundes befassen müssen. Ein geordnetes Miteinander sei dann nicht mehr möglich und Berlin könne im Bundesrat „keiner Steuerreform und keinen ausgabenerhöhenden Bundesgesetzen mehr zustimmen.“ Folgt man dem Gutachten, wäre auch die Fusion mit Brandenburg akut gefährdet. Die Bürger des Nachbarlands würden sich in der „ungleichen Ehe“ mit dem hoch verschuldeten Berlin verschlechtern. „Mit jedem Jahr der Fortdauer der Finanznotlage werden die Kosten der Fusion für die Brandenburger teurer. Man kann sich unschwer vorstellen, welche Folgen dies für die notwendige Volksabstimmung haben wird.“

Könnte es passieren, dass die Hauptstadt Pleite geht? Dieses Schreckgespenst will Gisela Färber, die an der Uni Speyer wirtschaftliche Staatswissenschaften lehrt und in vielen Sachverständigenkommissionen sitzt, nicht von der Kette lassen. In Deutschland sei bisher kein Land und keine Kommune zahlungsunfähig geworden. Aber: Wenn die Sanierung der Finanzen misslänge, könnte die Stadt ihre „haushaltswirtschaftliche Selbstständigkeit verlieren“. Wohin das führen kann, erklärt der Prozessbevollmächtigte des Senats für die Verfassungsklage, Joachim Wieland: „Im härtesten Fall kann auf Berlin Bundeszwang ausgeübt werden.“

Das erlaubt der Artikel 37 Grundgesetz, der in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands noch nicht aktiviert wurde. Wenn ein Land seinen (finanziellen) Pflichten nicht nachkommt, kann ein Bundeskommissar die Regierungsgewalt übernehmen. Ein Mittel „in letzter Zuflucht“, schränkt Wieland ein. Er gehe als Jurist davon aus, dass der Bund seiner Solidaritätspflicht gegenüber dem Not leidenden Berlin nachkommen werde.

Die Finanzexpertin Färber wirft dem Bund derweil vor, für die Misere Berlins mitverantwortlich zu sein. Neben den teilungsbedingten Ursachen, dem wirtschaftlichen „Vereinigungsschock“ und „teuren Entscheidungen“ des Senats nach der Wende (Übernahme des Ost-Personals, Weiterführung aller Hochschulen und großen Kultureinrichtungen) habe der Bund „den größten Anteil am Finanzdebakel“. Ost-Berlin sei unmittelbar nach der Vereinigung unzureichend finanziert und die Bundeshilfe „äußerst schnell“ abgebaut worden. Und seit 2001 hätten massive Steuerausfälle, für die ausschließlich der Bund verantwortlich sei, katastrophale Auswirkungen auf den Berliner Haushalt.

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