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Berlin: Nur keine Volksmusik

Klangvoll: Berliner Akkordeonspieler treten heute gemeinsam mit 50 chinesischen Kollegen auf

Sonja Merz hüpft barfuß auf einem Bein, springt auf das andere und rudert mit den Armen. Die 51-Jährige dirigiert mit ihrem gesamten Körper. Die 22 Orchestermitglieder sind zwischen 20 und 71 Jahre alt, sie alle haben ein Akkordeon auf dem Schoß, mit dem sie jetzt einen Tango spielen. Merz trällert die Solostimme mit und tanzt ein paar Tangoschritte auf den Fußbodenbrettern im Bürgersaal des Rathauses in Zehlendorf, wo das Orchester eine Generalprobe hat. „Am Samstag kann ich das aber nicht machen“, warnt Merz. Dann müssen die Spieler selbst für das nötige Temperament sorgen.

Am heutigen Samstag spielt das Akkordeonorchester „Euphonia“ in der Kreuzberger Heilig-Kreuz-Kirche. Das Konzert wird als Höhepunkt der Deutsch-Chinesischen Jugendtage angekündigt, die bis Sonntag Kinder und Jugendliche mit der jeweils fremden Kultur bekannt machen sollen. Zwar sind die wenigsten der Euphonia-Mitglieder noch Jugendliche, doch 50 junge Akkordeonschüler aus Schanghai werden beim Konzert den Altersdurchschnitt senken. Mit ihrem Orchester war Merz schon zur ersten Veranstaltung vor zehn Jahren bei den Jugendtagen eingeladen. Seither besteht der Kontakt nach China, Euphonia war auf zwei Tourneen in der Volksrepublik. Merz hätte sich das nicht träumen lassen, als sie vor 27 Jahren an die Leo-Borchard-Musikschule in Steglitz-Zehlendorf kam und dort ein Jahr später Euphonia gründete.

In China war auch Thomas Biegi, 33, dabei. Er spielt seit seiner Kindheit Akkordeon, als Student hat er sich vor zehn Jahren auf die Suche nach einem Orchester gemacht. „Als ich Euphonia zum ersten Mal gehört habe, war klar, dass das meine erste Wahl ist“, sagt er. Euphonia verlegt sich nicht auf Volksmusik, sondern spielt am liebsten Tango. „Tango ist impulsiv, melancholisch und sentimental“, sagt Merz. Diese Gefühle könne man mit dem Akkordeon sehr gut erzeugen. Durch verschiedene Einstellungen produziert das Instrument auch unterschiedliche Klänge. „Bei einem Konzert fragen sich die Leute oft: Wo kommt denn jetzt die Oboe her?“, so Biegi.

Vom ersten Besuch in China hat Sonja Merz ein Sheng mitgebracht, ein 4 000 Jahre altes chinesisches Blasinstrument, auch „Mundorgel“ genannt. Damit wird beim Konzert am Samstag auch der in Berlin lebende Sheng-Virtuose Wu Wei auftreten. Auf dem Programm stehen klassische Stücke, aber auch chinesische Lieder und Tango. Ganz gemäß dem Motto von Euphonia: „Wir spielen alles, außer Volksmusik.“ Franziska Felber

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