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Berlin: Nur nicht verschlafen: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit Die Uhren werden vorgestellt

60 wertvolle Minuten im Nu vorbei

„Was nun, vor oder zurück? Muss mal überlegen“. Taxifahrer Holger bekommt Dackelfalten, bis sich seine Miene vollends verdüstert. „Eine Stunde Verdienstausfall“ rechnet er für den Nachtdienst aus. Christine Przybylowicz, Pflegedirektorin im Klinikum Friedrichshain, freut sich für den Nachtdienst: „Eine Stunde weniger Arbeit!“

Es ist also wieder soweit: In der Nacht zum Sonntag werden um 2 Uhr die Uhren um eine Stunde vorgestellt. Vor – das heißt 3 Uhr! Damit wird die Mitteleuropäische Sommerzeit eingeleitet. Seit fast 23 Jahren schon. Damals gab es die Ölkrise und den Wunsch, abends länger ohne Licht auszukommen. Seitdem wird von vielen Leuten immer wieder gerechnet, ob Ende März und Ende Oktober nun jeweils die Uhr um eine Stunde vor oder zurückgestellt, eine Stunde verloren oder geschenkt wird. Jetzt geht sie verloren.

Wer beispielsweise sonntags arbeiten muss, etwa in der Gastronomie, oder bei der BVG, muss aufpassen, nicht zu verschlafen. Ein schläfriger BVG-Fahrer, der an der Philharmonie kurze Mittagspause macht, tut so, als hört er das Wort Zeitumstellung zum ersten Mal. „Wat is’n schon ’ne Stunde?“ Taxifahrerin Doris sieht es ganz praktisch: „Wenn ich um 4 Uhr aufstehe, muss ich eben um 9 Uhr ins Bett“. Man sollte nur vorher unbedingt die Uhr stellen. „Verschlafen habe ich wirklich noch nie!“

Aber es bleibt, ob verschlafen oder nicht, eine verlorene Stunde. Schon Marcel Proust nannte sein berühmtes Werk gegen die Macht der Gewohnheit „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Eine Hilfe, die Zeit wiederzugewinnen , im aktuellen Fall also wertvolle 60 Minuten, bietet beispielsweise ein Berliner Reinigungsunternehmen an. In der Stunde, die es eigentlich nicht gibt, wird Call-a-cleaner erstmals zu einer Haushaltsreinigung bei Mondschein ausrücken, um 2 Uhr nachts bei Familie Meye den Haushalt auf Vordermann bringen, eine Stunde lang gratis, weil man für die verlorene Zeit schlecht kassieren kann.

Die Meyes hatten sich zuvor bei der Firmenaktion „geschenkte Stunde“ als kreative Bewerber qualifiziert und angegeben, wie sie die eingesparte Putz-Stunde nutzen wollen: Sie werden am Sonntagnachmittag auf dem Alexanderplatz für SOS-Kinderdörfer sammeln: Auch auf diese Art kann verlorene Zeit durchaus ein Gewinn sein.C. v. L.

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