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Berlin: Nur was für Verrückte

Die Handballer der Reinickendorfer Füchse würden gern an alte Glanzzeiten anknüpfen – doch die Gegebenheiten sprechen derzeit gegen sie

Es war einer jener Tage, an denen er zwischen seinem Wohnort Hohenschönhausen, seinem Arbeitsplatz in Reinickendorf und der Trainingsstätte Horst-Korber-Zentrum nahe dem Olympiastadion pendelte – und an dem beim späten Heimkommen der Haussegen hätte schief hängen können. „Das tat er aber nicht. Dazu ist meine Frau viel zu sportverrückt“, sagt Jörg Herrmann. Seine Frau Heide ist Eiskunstlauf-Trainerin beim SC Berlin. Und Jörg Herrmann ist Spielertrainer bei den Zweitliga-Handballern der Reinickendorfer Füchse.

Ein interessanter Job, könnte man meinen. Herrmann sieht das differenziert. „Vielleicht muss man für das, was ich hier mache, auch ein bisschen verrückt sein“, sagt Herrmann. Manchmal würde er am liebsten alles hinschmeißen. „Das ist hier wie ein Freizeitverein. Zweitliga-Bedingungen werden leider nicht geboten.“ Die Trainingsbedingungen sind katastrophal, weil oft gar keine Halle zur Verfügung steht. Herrmann selbst, im Hauptberuf Steuerfachangestellter und Vater zweier Kinder, hat nicht genug Zeit, um sich um die nötige Ausbildung der Spieler zu kümmern. Geleitet wird die Handball-Abteilung von Leuten, die nur ehrenamtlich aktiv werden können. Und an allen Ecken und Enden fehlt das Geld. „Einige Spieler bekommen eine Aufwandsentschädigung, andere keinen Cent“, sagt Herrmann.

Spitzenklubs der Zweiten Liga entlohnen ihre Topspieler monatlich mit 5000 Euro und mehr, haben einen Saisonetat von 500 000 Euro, die Füchse nur 160 000 Euro. Thomas Micheli, zu besseren Füchse-Zeiten Bundesliga-Spieler und heute Sportlicher Leiter: „Vor der Saison sind einige Sponsoren abgesprungen, einige haben ihre Beiträge reduziert.“ Als einziger Verein haben die Reinickendorfer nicht einmal einen Trikotsponsor. Das Geld sitzt längst nicht mehr so locker, die Werbeetats der Firmen wurden eingedampft. Ein Willi Bendzko, der die Füchse einst allein finanzierte, ist weit und breit nicht zu sehen.

Kein Wunder, dass mit dem Gedanken gespielt wurde, auf den Aufstieg zu verzichten. „Beim entscheidenden Gespräch, ob wir überhaupt antreten sollen, flossen sogar Tränen“, erinnert sich Herrmann. Die Spieler wollten es wagen – unter Verzicht auf fast jede finanzielle Entschädigung. Auch Herrmann wollte es wagen – trotz gewaltiger Bedenken. „Sie sind nicht gewichen. Aber die sportliche Herausforderung überdeckt alles“, sagt Herrmann.

Ein weiteres Jahr aber, da lässt er keinen Zweifel, will er sich nicht antun, jedenfalls nicht mehr als Torwart und Trainer zugleich. Schließlich ist er schon 44. „Mit seiner Erfahrung ist er aber weiterhin ein großer Rückhalt“, sagt Micheli. Erfahrung hat Herrmann reichlich sammeln können, in 18 Länderspielen für die DDR und als dienstältester Bundesligaakteur in 25 Jahren der ersten und zweiten Bundesliga.

Neben dem Torwart-Routinier Herrmann könnten die Füchse demnächst auch den Außenspieler-Routinier Stefan Matz verlieren. Dem liegt ein Angebot eines anderen Klubs vor. Dass darin eine gewisse Verlockung für Matz liegt, ist bei den finanziellen Gegebenheiten seines jetzigen Vereins verständlich. „Noch habe ich mich nicht entschieden. Aber die Füchse wissen Bescheid. Noch mal so eine Saison wie diese werde ich mir kaum zumuten“, sagt Matz. Ginge er, wäre das ein herber Verlust. In der Vorsaison war der bundesliga-erfahrene Matz, der in diesem Monat 30 wird, mit 278 Treffern erfolgreichster Regionalliga-Spieler, jetzt hat er auch schon knapp 150 Tore erzielt. Würden die Füchse nach dem Aufstieg gleich wieder absteigen, würde Matz die Entscheidung leichter fallen.

Gestern überraschten die Nordberliner allerdings mit einem 32:31 (17:17)-Sieg beim heimstarken Dessauer HV, sodass sie drei Punkte von einem Abstiegsplatz entfernt sind. „Es wird sehr schwer, aber nach dem miserablen Saisonstart mit vielen Verletzten sind wir inzwischen gefestigter“, sagte Herrmann kürzlich. Auch die Anhängerschar ist größer geworden. Am Anfang waren es 150 Zuschauer bei den Heimspielen, inzwischen sind es meist über 500.

Dennoch – unter den jetzigen Bedingungen kann man nicht weitermachen, da sind sich alle einig. Vor allem soll alles profihafter werden, was beim Abstieg freilich schwierig werden könnte. „Wir verhandeln mit einer Manager- und Vermarktungsagentur, um die ehrenamtlichen Mitarbeiter zu entlasten“, sagt Micheli. Geplant ist auch die Ausgliederung der Bundesliga-Mannschaft aus dem gemeinnützigen Verein. Ziel ist die Bildung einer GmbH, wie sie die meisten Bundesligaklubs schon haben. Bei den Füchsen geht alles ein wenig langsamer.

Doch sie haben noch immer einen guten Ruf in der Handballszene. Spieler wie Klaus Wöller, Walter Don, Roberto Pries, Diethard Finkelmann und der schwergewichtige Kreisläufer Noka Serdarusic bürgten einst für dieses Image. 1983 gewannen die Füchse im Europapokal gegen Empor Rostock, scheiterten erst im Halbfinale an IL Saporoshje. Ausverkauft war die Deutschlandhalle damals. Da könnte leicht Wehmut aufkommen.

Klaus Rocca

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