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Obama in Berlin: Die Rede am Brandenburger Tor hat er sich erarbeitet

2008 durfte er "nur" an der Siegessäule sprechen, jetzt darf er auf den Pariser Platz. Denn: Nur Präsidenten haben hier Sprecherlaubnis, schließlich ist er der nobelste Ort der Stadt. Hier treffen sich alle – nur nicht die Berliner.

Es ist der 17. Juni, zwölf Uhr mittags, gut einen Tag, bevor Barack Obama in Berlin eintrifft. Wer will entscheiden, ob da nur eine ganz normale Sommerbrise vom Brandenburger Tor her über den Pariser Platz streicht, wie sie auch in Bad Segeberg oder Baiersbronn vorkommt – oder eben doch der einzigartige, berlinexklusive Hauch der Geschichte?

Die Indizien geben wenig her für die eine oder andere Version. Die Polizei ist an diesem Tag präsent und entspannt wie immer, und der Hubschrauber am Himmel sieht so aus, als transportiere er einen ganz unpolitischen Notarzt zum Einsatz ins Irgendwo. Und auch die angenehme, von Plauderstimmen untermalte Ruhe, die dem verkehrsberuhigten Platz rund um die Uhr einen mittäglichen Anstrich gibt, ist eigentlich wie immer.

4000 Gäste werden zur Rede von Obama erwartet

Nur, dass eben da diese Gerüstbauten in der Mitte den Gesamteindruck ruinieren. Die von Obamas Protokoll erwählten viertausend haben Platz zu finden in sanft ansteigender Formation zu beiden Seiten, dazu gehört eine dem Anlass angemessene Rednertribüne und, gegenüber, ein viergeschossiger Käfig, von dem aus die Kameras dieser Welt auf den Präsidenten schauen und beobachten, wie er am Mittwoch den ewigen kategorischen Imperativ jedes US-Präsidenten seit Kennedy erfüllt, in Berlin eine historische, mit deutschen Vokabeln raffiniert ausgeschmückte Rede zu halten.

Bislang ist am Platz nichts Historisches zu hören, nur das sachte „Klong, klong“ der routiniert dengelnden Arbeiter liegt in der Luft, gelegentlich überdeckt vom Warnpiepen bunter Arbeitsmaschinen. Das innere Geviert ist abgesperrt, wenn auch keineswegs betont gesichert, und die Touristen fluten unbeeindruckt außen herum. Es sind jene, die hier immer fluten, vor allem Jugendgruppen mit Führern, die mal von „historia“ und mal von „history“ berichten. Die Wortfetzen erzählter Geschichte rauschen vorüber, und der typische Rundgang ist gegenwärtig wegen der gesperrten Mitte eben ein wenig runder als sonst, von der Friedrichstraße kommend aufs Brandenburger Tor zu, entweder rechts oder links herum, dann unter der Quadriga durch, oh, so viel Verkehr da drüben!, und auf der anderen Seite wieder zurück.

2008 durfte der damalige Präsidentschaftskandidat nur an der Siegessäule sprechen

Den Pariser Platz muss man sich erarbeiten, das weiß keiner besser als Barack Obama, der 2008, damals hoffnungsfroher Wahlkämpfer, von der Kanzlerin kühl abgewiesen wurde und sich mit einer Rede an der zweitklassigen Siegessäule schadlos halten musste. Diesmal wurde gar nicht erst diskutiert, der amtierende US-Präsident hat hier das unbestrittene Zugriffsrecht, das ist so, seit Bill Clinton 1994 den Anfang machte und der Stadt, rhetorisch feinstpoliert, die Botschaft überbrachte, sie sei nun frei und solle gefälligst was Tolles draus machen.

Ronald Reagan hatte sich 1987, als er die Mauer erschütterte, aus bekannten Gründen noch mit der westlichen Seite des Brandenburger Tors begnügen müssen, also mit den Hinterteilen der ostwärts vorandrängenden Quadriga – eine große Rede auf einem Un-Platz, der später mit der Mauer auch ganz und gar die Form verlor. Noch weiter weg ist die Erinnerung an John F. Kennedy, der eine Viertelmillion Menschen auf dem Rudolph-Wilde-Platz vor dem Rathaus Schöneberg in seinen Bann zog. Das gibt es heute nicht mehr, so viele Leute können in Berlin nur noch in Gestalt einer zweckfreien, weit ausgreifenden Fanmeile untergebracht werden.

Der Pariser Platz ist die wichtigste Fußgängerzone der der Stadt

Was hat es mit diesem Pariser Platz überhaupt auf sich? Schon der Name lässt sich wie eine kleine Lektion in deutscher Demut lesen. Nicht von Anfang an, nein, denn bekanntlich erhielt das vormals schlichte „Quarré“ seinen Namen ja erst 1814, nachdem die Preußen in Paris einmarschiert waren, rühmt also noch heute soldatisches Befreiungshandwerk. Doch wie präsent ist dieser Hintergrund? Irgendwie wirkt es heute so, als werbe Berlin mit seinem prestigeträchtigsten Gast und auf seinem nobelsten Terrain einfach ein wenig für Frankreichs Hauptstadt – aber selbst das mag in der weltweiten Berlinbegeisterung noch als Geste einer Gewinnerin gelten. Können wir uns leisten!

Das Seltsame am Pariser Platz ist, dass er in seiner Alltagsform zwar so etwas wie die einzige wichtige Fußgängerzone der Stadt darstellt, daraus aber kommerziell nicht den geringsten Vorteil zieht. Das Viereck ist eine Architekturausstellung im Traufhöhenraster mit zentraler Gartenanlage, umstellt von Gebäuden, die den normalen Menschen fast nichts zu bieten haben. Von oben schauen die toten Augen der Bankrepräsentanzen herunter, in denen nur selten so etwas wie Leben aufscheint, und auch die beiden Botschaften, die amerikanische und die französische, bieten Außenstehenden selten mehr als einen stoischen uniformierten Aufpasser vor der Tür.

Für den Nutzer ohne Akkreditierung und Termin bleiben also: das unscheinbar in der Nordwestecke eingeklemmte „Theodor Tucher“ für die kulinarisch-biedersinnige Grundversorgung, die Starbucks-Filiale für den schnellen Koffein-Stoß und das Erdgeschoss des Hotels Adlon zur Befriedigung gehobener Gelüste. Im Tucher bieten sie per Kreidetafel an diesem Montag Bodenständiges für ermattete Fußgänger an, das keinesfalls die Bacchanalien eines Staatsbesuchs evoziert, Matjestatar, Ochsenbacke und Lammschulter.

Von exquisiten Genüssen und DDR-Fahnen

Das Adlon kommt seinen Gästen offensiver, probiert alljährlich im Sommer auf der Straßenterrasse neue fremde Federn aus. 2012 war es der Strandkorb der „Sansibar“, der den syltgewohnten Parvenü einbinden sollte, in diesem Sommer ist es eine Wodka-Marke namens „Beluga“, die offenbar auf die innige Verbindung von Wurst und Speckseite zum Lobe des völlig entgrenzten Genusses zielt, den gestickten Markennamen auf den Sitzpolstern eingeschlossen. Kulturbeflissene fliehen vor diesem allzu neureichen Barmen gern in die sehr mitteleuropäische Akademie der Künste, die es als einzige Institution am Platze ihren Besuchern auch erlaubt, durch die Hintertür zur Behrenstraße zu verschwinden.

Dieses Verhalten allerdings kennzeichnet vor allem den langjährigen Berliner, der aus irgendeinem Grund, den er selbst nicht kennt, an den Pariser Platz geraten ist und nun schnell wieder abtauchen muss. Was hätte er hier auch zu suchen? Einkaufen in den piekfeinen Adlon-Geschäften will er gewiss nicht, die sind so elitär, dass sie die Tür vorn zuschließen und darum bitten, von hinten durchs Hotel aufgesucht zu werden. Auch die Fahrt mit einer der Rikschas gehört nicht zum Repertoire des Einheimischen, und was es dort sonst so zu bestaunen gibt, erträgt er mit der Routine des Weltbürgers, der alles schon gesehen hat.

Wie den Mann, der sich auf den russisch uniformierten Leib einen dicken Bärenkopf gesetzt hat und, so ausstaffiert, neben einer DDR-Fahne posiert, der berüchtigten „Spalterflagge“ mit Hammer, Zirkel und Lorbeerkranz. Wer ihm einen Euro spendet, der tut es vermutlich ohne großes Nachdenken über den Sinn dieser Inszenierung und beglückt darüber, dass hier, wenn schon Diktatur, wenigstens kein Hitler-Darsteller nostalgisch verbrämt die Historie klittern darf. Immerhin ist ja die Info-Tafel nicht weit, die die wichtigsten Nazi-Verbrechen knapp zusammenfasst. Die „Spalterflagge“ übrigens wirkt in diesem Zusammenhang ohnehin etwas zynisch, weil Walter Ulbricht beim Kennedy-Besuch 1963 mit ihr das Brandenburger Tor verhängen ließ, um dem Klassenfeind keinen Einblick auf den brachliegenden Pariser Platz zu gewähren.

Niemand will Obamas Füße bei der Rede sehen

Barack Obama allerdings kann sich in seiner Rede, das offene Tor im Rücken, unbehindert nach vorn orientieren. Die Organisation hat ihm ein ordentliches Podium hingestellt, muschelförmig mit transparentem Plastik überzogen, falls dann doch irgendein Fehler in den Wetterberichten stecken sollte, die makelloses Kaiserwetter versprechen. Das Podest ist mit praktisch grauem Nadelfilz bedeckt, nach oben führt eine Stahlblechtreppe üblichen Standards, nichts für die Ewigkeit, sondern zweckmäßig. Schließlich will ja auch niemand die Füße Obamas sehen, wenn er zur Ostküsten-Frühstückszeit vor die Kameras tritt. Der Pariser Platz dürfte für diese halbe Stunde seine Eignung als Repräsentationsplatz der Metropole wieder einmal beweisen. Und für Obama ist klar: Sollte er das Rederecht hier auf diesem Podium noch einmal beanspruchen wollen, ist Eile geboten. Scheidet er Anfang 2017 aus dem Amt, dann ist selbst er auf dem Pariser Platz nur noch als Tourist geduldet.

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