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Nur legal. Das Mundraub-Team prüft, dass keine Privatgrundstücke markiert werden.

© privat

Obstbäume geortet: Internetprojekt mit Kern-Kompetenz

Überall in der Stadt wächst Obst, das keiner erntet. Eine Seite verrät, wo genau die Bäume stehen.

Die ersten Standorte haben sie noch selbst markiert: die zwei Apfelbäume im Britzer Garten, die Kirschbäume am Boxhagener Platz, auch den auf dem ehemaligen Grenzstreifen zwischen Neukölln und Treptow, direkt gegenüber vom Supermarkt. Inzwischen brauchen sie gar nichts mehr einzutragen, das machen jetzt andere. Kai Gildhorn muss bloß aufpassen, dass nicht schon wieder der Server zusammenbricht, wegen der hohen Besucherzahlen.

20 000 in einer Nacht, das war bisher der Rekord auf www.mundraub.org. „Wir scheinen einen Nerv getroffen zu haben“, sagt Gildhorn, 38. Die Idee ist simpel: Überall in der Stadt stehen Obstbäume auf öffentlichem Grund. Die tragen Früchte, die keiner erntet, stattdessen fallen sie zu Boden, werden von Fußgängern plattgetreten oder verfaulen. In der Christinenstraße in Prenzlauer Berg ist gerade der halbe Bordstein rot vor lauter Kirschen, auch die Dächer der parkenden Autos sind verklebt. Kai Gildhorn und seine vier Mitstreiter wollen, dass diese Früchte lieber gepflückt und gegessen werden. Deshalb kann man nun auf mundraub.org alle bekannten Adressen in einer virtuellen Deutschlandkarte eintragen, mit genauem Hinweis, um welche Frucht es sich handelt – als Tipp für andere Obstesser. Auch Standorte wildwachsender Kräuter, Beeren und Nüsse sind verzeichnet. Allein im Treptower Park wurde an fünf Stellen Bärlauch gefunden.

Rund 1100 Einträge gibt es schon auf der Seite, und es werden täglich mehr. Für Gildhorn bedeutet das viel Arbeit, denn sie prüfen jeden Eintrag genau. Schauen auf Satellitenfotos, ob das Gelände wirklich nach einer öffentlichen Fläche aussieht. Ist ein Obstbaum eingezäunt oder wirkt der Rasen rundum gemäht, deutet das auf ein Privatgrundstück hin – und das wollen die Betreiber der Seite nicht. Neulich markierte ein Nutzer mehrere Obstbäume in einer Kleingartenanlage, mit dem Hinweis, dort könne man sich ruhig bedienen. Das Team hat den Eintrag sofort gelöscht.

Eigentlich ist Kai Gildhorn Umweltingenieur. Bis vergangenen Sommer arbeitete er für ein Unternehmen, das Auftraggebern deren CO2-Verbrauch ausrechnet. Wegen der Wirtschaftskrise verlor er seinen Job. „Einen Glücksfall“ nennt Gildhorn das heute, sonst hätte er nie Zeit und Kraft für das Projekt gefunden. Sein Geld verdient er heute mit einem Versandhandel für schwarzen Pfeffer. Die Benutzung von mundraub.org ist kostenlos.

Es gibt viele Ideen, das Konzept weiterzuentwickeln. Einige Nutzer baten, doch bitte auch die Standorte von Pilzen zu kennzeichnen. Gildhorn ist da skeptisch – weil Pilzsammler oft darauf bedacht seien, ihre Lieblingsplätze geheim zu halten, um die Pilze nicht mit anderen teilen zu müssen. „Nicht mal mein eigener Vater hat mir früher seine besten Orte verraten.“ Ein anderes Projekt ist schon beschlossen: Im Herbst werden sie an mehreren Alleen im Kreis Potsdam-Mittelmark Äpfel- und Birnbäume abernten, die Kommune hat zugestimmt. Aus dem Obst machen sie dann „Mundraub-Saft“, und den wollen sie Schulen und Kitas anbieten.

Apfelmann. Kai Gildhorn, 38, sucht nach neuen Baum-Standorten.
Apfelmann. Kai Gildhorn, 38, sucht nach neuen Baum-Standorten.

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In Berlin und Brandenburg ist die Dichte der eingetragenen Bäume besonders hoch, sagt Gildhorn. Das liege auch daran, dass die Preußen traditionell großen Wert auf den Anbau von Obstbäumen entlang öffentlicher Straßen gelegt hätten. Die Früchte waren als Verpflegung der Soldaten gedacht. Im 18. Jahrhundert existierte sogar ein Gesetz, wonach ein Mann vor seiner Hochzeit erst 20 Obstbäume pflanzen musste.

Kai Gildhorn lernt auch selbst dazu. Neulich hat jemand auf der virtuellen Karte einen Maulbeerbaum markiert, am S-Bahnhof Schöneweide neben der Döner-Bude. Gildhorn hatte keine Ahnung, was das ist und ob man es essen kann. Kann man.

Überhaupt nimmt er seine Stadt anders wahr, seit er die Seite betreibt. Beim Radfahren guckt er ständig nach links und rechts, ob da vielleicht was Essbares hängt. Auch vor der eigenen Haustür wurde er fündig, an der Warschauer Brücke in Friedrichshain steht ein Aprikosenbaum. Wie hatte er den nur übersehen können, all die Jahre. Sebastian Leber

Die Plattform im Internet: www.mundraub.org

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