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Mit letzter Hoffnung. Mohamed M., 48, flüchtete einst aus politischen Gründen aus Algerien. Seit 22 Jahren lebt er in Deutschland, mittlerweile nur noch geduldet. Er hat keine Bleibe mehr, trägt seine Akten immer bei sich. Aufgeben will er nicht.

© Björn Kietzmann

Odyssee eines Flüchtlings in Berlin: Ein unmöglicher Härtefall

Der Bundespräsident konnte nicht helfen, keine Partei, keiner seiner Unterstützer: Der Flüchtling Mohamed M. soll ausgewiesen werden – nach 22 Jahren in Deutschland. Doch er gibt nicht auf.

Die Jeans wirkt, als sei sie zu groß für Mohamed M. Es ist dieselbe wie vor einem dreiviertel Jahr, er hat nur diese. Sie ist sauber und ordentlich, auch nach sechs weiteren Monaten auf der Straße. Aber Mohamed ist dünn geworden.

Im September 2013 saß der 48-Jährige schon einmal in diesem Garten mitten in Berlin und erzählte dem Tagesspiegel seine Geschichte. Der ehemalige Theaterregisseur war 1991 vor der Unterdrückung durch die Militärdiktatur aus Algerien geflohen. Nach 22 Jahren in Deutschland sollte er ausgewiesen werden, zurück in seine ehemalige Heimat, wo er keine Freunde mehr hat, keine Zukunft. Seit knapp einem Jahr lebte er illegal auf den Straßen der Hauptstadt, um einer Abschiebung zu entgehen. Seine letzte Hoffnung war eine Petition. Noch einen Winter in irgendeinem Zelt schaffe er nicht, sagte er damals. Mohamed hatte gehofft, den Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU) und die Ausländerbehörde überzeugen zu können, die Abschiebung zu stoppen. „Innerhalb weniger Wochen haben fast 17 000 Menschen unterschrieben“, erzählt Mohamed.

Bundespräsident Gauck schrieb an Henkel. Auch das half nichts.

Ende Oktober vergangenen Jahres übergaben er und seine Unterstützer Henkel die Unterschriftenliste und forderten den Innensenator auf, ein Bleiberecht für Mohamed anzuerkennen. Doch Henkel blieb bei seiner Entscheidung. Zu dem Zeitpunkt lag sogar schon ein Schreiben von Bundespräsident Joachim Gauck auf Henkels Schreibtisch, mit der Bitte, sich des Falls erneut anzunehmen. Unterstützer hatten ihn um Hilfe für Mohamed gebeten. Half nichts. Und der Bundespräsident kann aufgrund der föderalen Kompetenzverteilung sonst nichts weiter tun.

Anita Leese-Hehmke tut etwas. Über eine Unterschriftenliste wird sie im Oktober 2013 auf Mohameds Fall aufmerksam. Sie arbeitet bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO), ein Mitglied der Berliner Härtefallkommission. Leese-Hehmke nimmt Kontakt zu Mohameds Anwalt auf, lädt Mohamed zu einem Beratungsgespräch ein und prüft die genauen Umstände seines Falls. „Man kann ja nicht davon ausgehen, dass jeder Betroffene alle Möglichkeiten kennt“, sagt sie.

Die Härtefallkommission hatte schon einmal über Mohameds Aufenthaltsstatus beraten. 2008 stellte der Berliner Flüchtlingsrat für Mohamed einen Antrag, damals erhält er eine Aufenthaltserlaubnis mit der Auflage, seinen Lebensunterhalt selbst zu sichern. Er arbeitet als Küchenhilfe und Reinigungskraft für unterschiedliche Zeitarbeitsfirmen. Im Sommer 2012 erhält er eine Festanstellung als Spüler in einem Restaurant. Als die Saison vorbei ist, wird ihm gekündigt. Noch im August entzieht die Ausländerbehörde ihm die Aufenthaltsgenehmigung, zu Ende September soll er ausreisen. Selbst, als er die Zusage für eine unbefristete Anstellung zum 1. Oktober vorlegt, nimmt die Behörde die Entscheidung nicht zurück.

Job keine Aufenthaltserlaubnis, ohne Aufenthaltserlaubnis kein Job

Die Unterbrechungen in seiner Erwerbstätigkeit werte die Ausländerbehörde als Zeichen, dass sich Mohamed nicht ausreichend anstrengt. Mohamed sieht den Teufelskreis: Ohne festen Job keine Aufenthaltserlaubnis, ohne Aufenthaltserlaubnis keinen festen Job.

„Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist der Schlüssel zur Integration“, sagt auch die Integrationsbeauftragte von Berlin, Monika Lüke. „Es ist dumm, diesen Zugang nicht zu erleichtern, denn er ermöglicht, die Menschen von der Straße zu holen. Wir brauchen sie ja.“ Das erspare dem Staat sogar Kosten, sagt Lüke.

Bis Ende August wird Mohamed geduldet. Eine letzte Chance hat er noch.

Den Fall noch einmal vor die Härtefallkommission zu bringen, war nicht leicht. Doch Mohamed hatte sich weiter ehrenamtlich engagiert, selbst ohne festen Wohnsitz eine Weiterbildung zum Behindertenbegleiter gemacht. Für all das hat er schriftliche Belege gesammelt, ordentlich abgelegt in Schnellheftern, die er immer in seiner Umhängetasche bei sich trägt, in der außerdem ein frischer Pullover und eine Zahnbürste stecken. Mitte Februar nahm die Härtefallkommission Mohameds Fall zur Beratung an.

Dass jemand nach 22 Jahren abgeschoben werden soll, findet Katina Schubert, Landesgeschäftsführerin der Linken in Berlin, grausam. Sie unterstützte die Petition und leitete sie über Mailverteiler, Twitter und Facebook weiter. Sie sagt: „Ich hoffe, dass die Härtefallkommission eine Bleiberechtsregelung für Mohamed M. findet und den Senat überzeugt.“

„Mohamed ist einfach in den Wirren der Wendezeit untergegangen.“

Trotz der neuen Chance ist Mohamed nervös. Seine Hände blättern unentwegt in seinen Unterlagen. Für alles, was er sagt, sucht er ein Papier als Beleg. „Diese ganze Bürokratie und die Unsicherheit machen ihn völlig fertig“, sagt Martina Wikowski von der Organisation Solidarität International (SI). Sie hatte Mohamed im Sommer 2013 im Flüchtlingscamp auf dem Oranienplatz kennengelernt, wo er eine Zeit lang in einem Zelt übernachtete. SI unterstützt Mohamed, hat ihm sogar eine Unterkunft vermittelt. Dass er es seit 1991 nie geschafft hat, Asyl oder eine ordentliche Aufenthaltserlaubnis zu erhalten, liegt Wikowski zufolge nicht an ihm. „Ich glaube, er ist einfach in den Wirren der Wendezeit untergegangen. Und er hatte schlechte Berater.“

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Bis die Härtefallkommission über Mohameds Fall berät, können bis zu zwölf Monate vergehen. Bis Ende August wird er geduldet. Damit hat er eingeschränkt auch die Erlaubnis zu arbeiten. Doch müssen potenzielle Arbeitgeber von der Agentur für Arbeit prüfen lassen, ob nicht beispielsweise ein Deutscher oder EU-Ausländer für den Job infrage kommt. Sozialhilfe würde ihm eigentlich zustehen. „Die beantrage ich lieber nicht. Ich will nicht, dass das bei der Entscheidung negativ gewertet wird“, sagt Mohamed.

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Und so lebt er weiter auf der Straße, sammelt weiter Unterschriften auf der Internetplattform change.org – und hofft auf die Härtefallkommission. Auf seine wirklich letzte Chance.

Wie die Härtefallkommission arbeitet

DAS VERFAHREN

Sie ist die letzte Chance für Menschen, die keinen Aufenthaltstitel besitzen und ausreisepflichtig sind. Die Kommission prüft auf Antrag, ob ein weiterer Aufenthalt in Deutschland „aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen“ gerechtfertigt ist. Stimmen mindestens zwei Drittel der Mitglieder für den Antrag, richtet die Kommission ein Ersuchen an den Innensenator, dem Betroffenen eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Ein weiterer Aufenthalt kann an Auflagen geknüpft werden, etwa die Pflicht, für den Lebensunterhalt selbst aufzukommen.

DIE KOMMISSION

Sie besteht aus Vertretern der Wohlfahrtsverbände, unterschiedlicher Migrations- und Integrationsvereine und der Kirchen und tritt monatlich zusammen. Die Sitzungen sind nicht öffentlich. 2012 leitete die Kommission von 157 Anträgen 150 Fälle an den Innensenator weiter, 97 davon nahm Frank Henkel an. Seit der Gründung der Kommission 2005 bis Ende 2012 gingen 2148 Anträge bei der Berliner Härtefallkommission ein. 1613 davon wurden positiv beschieden, 1026 vom Innensenator angenommen.

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