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Berlin: Offen für Äpfel, Schlackwurst und Schokohasen

Kulinarische Rundgänge durch Berlin: Die Westfälische Straße zwischen Aufbruchstimmung und Tristesse

Eine gute Geschäftslage ist daran zu erkennen, dass man vor der Tür in zweiter Reihe parken kann und der zuständige Polizeiabschnitt nicht allzu rabiat gegen Verkehrsverstößchen vorgeht. Treffen die beiden Faktoren zu, dann geht es nur noch ums Hinterland. Die Westfälische Straße besitzt ein großes Einzugsgebiet, aber kein Zentrum, um das sich ein Ensemble von Läden scharen könnte. Im Gegenteil: Der Verlust der Mitte wird hier umso spürbarer, da sich die städtische Ordnung allmählich zur Stadtautobahn-Schneise und zum Grunewald hin aufzulösen scheint, und die ansässigen Geschäftsinhaber nicht einmal mehr die Kraft aufbringen, sich mit ostentativer Aufhübschung ihrer Schaufenster und Innenräume gegen die Tristesse zu stemmen. Dieser Beobachtung zum Trotz gibt es jedoch eine Menge zu entdecken.

Stilistisch gesehen verzichtet „Blumen-Koch“ auf mit Gold besprühte Blätter und Schleifchen, und für Tante-EmmaSträußchen mit fünf Rosen mit Farn und Schleierkraut ist die Achtung vor den Pflanzen zu ausgeprägt. Bevorzugt wird der asymmetrische Blütenpulk mit gestuften Längen und viel Grün als Grundlage. Ganz naturwüchsige Sträuße bilden jetzt die direkt aus der Provence importierten Kräutertöpfchen aus; Zitronenthymian und Lavendel mahnen mit intensivem Duft, dass es langsam an der Zeit wäre, die Balkonkästen zu bepflanzen – und zwar mit besserem als mit Baumarktware. Während dieses gerade auch in symbolischer Hinsicht enorm wichtigen Aufbruchs in die sprießende Zeit kann man hin und wieder auch einen Blick zurück in den vergangenen Herbst werfen – zum Beispiel anhand der gepressten Cox Orange-Ernte auf dem Duttenhoferschen Apfelgut im Schwarzwald. Der Pomme-Pure ist ein unverfälschter, ungemein prickelnder Auszug, der nur mit Kohlensäure haltbar gemacht wurde.

Der Frische von Obst und Kraut steht die Schwere des Fleisches buchstäblich gegenüber – und tatsächlich braucht man nur die Straße zu überqueren, um beim besten Metzger weit und breit anzulangen. Es ist nicht allein das Fleisch aus artgerechter Tierhaltung, das die Stärke der Fleischerei Bünger ausmacht, sondern auch ihr Geschick bei vorbereiteten Gerichten und schließlich beim mürb-saftigen Hackbraten und der Bratwurst, die hier gleich in einem halben Dutzend unterschiedlicher Sorten angeboten wird. Bemerkenswert die Rinderrouladen, in deren Innern sich neben dem obligatorischen Senf grob durchgedrehter Speck, Gurke und Zwiebel befinden, aus denen beim Schmoren ein kraftvoller Saft entsteht. Die Kohlrouladen brauchte man eigentlich nur noch zu frankieren, so proper und wie gemacht für den Versand sehen sie aus.

Als wäre die Sache von Vegetariern inszeniert, wird die Metzgerei von gleich zwei Gemüsehandlungen flankiert, deren eine, „Krohn“, nicht nur wegen ihrer Angebotsvielfalt und der Art der Präsentation die interessantere sein dürfte. Neben dem frischen Grünzeug und Obst erhebt sich ein ganzes Regal mit Konfitüren, die in weiß bedeckelte Gläser gegossen wurden, in denen die meisten von uns wohl Landleberwurst erwarten würden. Die Vertrauen heischenden Namen der Hausfrauen, die sie gekocht haben sollen, denken sich die „Krohn-Juwelen“-Geliermeister einfach aus: Erdmute und Rosalie etwa verantworten Grapefruit und Rhabarber mit Erdbeer und eine unbekannte Kilogunde die Minikiwi-Marmelade.

Auch in der „Salumeria Puglia“ behindert das ein bisschen ins Trübe zurückgefahrene Licht die innigere Betrachtung der Regale. Aber dort findet sich ohnehin nichts, was über das gewohnte Angebot einer italienischen Feinkosthandlung hinausgeht, und der hintere Teil des Geschäfts hat sich ohnehin längst in eine ambulante Osteria verwandelt, in der das Dolce Vita seine Gebrauchsspuren nicht verleugnet. Bleibt die Theke mit ihren weit über dreißig verschiedenen Antipasti, die vom Mann der apulischen Inhaberin zubereitet werden. Diese durchweg erfreulichen Speisen in Olivenöl verraten eine deutliche Vorliebe für Knoblauch. Der lässt sich noch am besten mit einem guten Roten vom Franzosen wegspülen, und da trifft es sich gut, dass man für den Besuch bei „La Vinotheque du Sommelier“ nur eine Seitenstraße zu passieren hat. Es sagt wohl einiges aus, dass der Publizist und Weinliebhaber Thomas Karlauf ihrem Inhaber, dem Elsässer André Schmitt, schon zu Lebzeiten ein Denkmal in Form eines ganzen Buchs gesetzt hat, das in der dtv-Reihe „Kleine Geschichte der Passionen“ erschienen ist.

Christel Jokisch verbreitet ihre Leidenschaft mit resolutem Selbstbewusstsein und erwartet auch von ihren Lieferanten, mindestens so eigenwillig zu sein wie sie es selbst ist. Wenn es überhaupt Konzept genannt werden kann, dann klingt das Vorgehen von „Marktpur“ denkbar einfach – jedoch eine bunte Palette von Produkten kleiner, individuell herstellender Erzeuger zusammen zu bringen, zu pflegen und beständig auszubauen, erfordert viel Erfahrung und noch mehr Geduld. „Bio ist mir dabei eigentlich Wurst“, erklärt sie und spricht auch sonst mit einer Offenheit, die dazu einlädt, ihre Überzeugungen zu teilen. In der Vitrine stammt die Mehrzahl der Waren aus diesem Bereich, aber das hat mehr damit zu tun, dass die meisten der auf Qualität Wert legenden Erzeuger im Umland von dieser Bewegung erfasst sind. Ob Öko oder nicht: Pilot und Pinova, die letzten Apfelzüchtungen der DDR-Agrarökonomie überzeugen genauso wie die Laugen- und Buttercroissants des Charlottenburger Bäckers Bernhard Frey sowie der Roggen-Weizen-Rundling von Peter Klann aus Ringenwalde, auf dessen feinporigen Scheiben sich die ganz bemerkenswerte, mit nur flüchtigen Räuchernoten aufwartende, obendrein noch vollmundige Schlackwurst von Metzger Ortlieb aus der Schorfheide sehr gut macht. Vielleicht noch einmaliger als dessen Hirsch-Reh-Salami aus der Jagd des Vaters oder das ausgesprochen milde Kürbiskernöl von Joseph Rath in der Steiermark dürfte inzwischen die naturbelassene Milch sein, die zweimal in der Woche aus der Uckermark nur wenige Stunden nach Melken und Kühlen hier eintrifft. Der Fettgehalt von über 3,5 % braucht Schlankheitsbewusste nicht zu schrecken – das sollte vielmehr die industrielle Prozessierung tun. Zuerst wird die Milch komplett zerlegt, dann wieder zusammengesetzt wie beim Spiel mit Bauklötzchen. Nicht ganz zufällig hat der Raum etwas von einem Kinderladen für Erwachsene an sich, und wie eine bedachte Tagesmutter kümmert sich Frau Jokisch mit einer Suppe und zwei Tagesgerichten darum, dass ihre Gäste zum Mittag mal wieder etwas im besten Sinne Anständiges zu sich nehmen. Wer sich etwa mit der Kürbis-Ingwer-Suppe das Revers bekleckert, braucht nur den Hochmeisterplatz zu überqueren, um zu jener Reinigung zu gelangen, die den besten Leumund der ganzen Stadt besitzt. Künstler und Kostümbildner schwören auf „Reimelt“ und dokumentieren dies mit ihren Autogrammkarten, die, dicht nebeneinander gepinnt, eine zweite Tapete bilden. Hier fehlt die chemische Penetranz, und gebügelt wird mit einer Sorgfalt, die zur Seltenheit geworden ist.

Am anderen Ende der Magistrale hat sie ihren vorstädtisch-geschäftigen Charakter verloren und ist nur noch als Transportmittel zum Fehrbelliner Platz von Belang. Kurz bevor sie ihn erreicht, passiert sie das Geschäft einer der letzten unabhängigen Schokoladenmanufakturen Berlins. Es wäre auch ohne die Osterhasen aus historischen Formen und die Marzipan-Repliken des Dürer-Hasen sowie die wundervollen Ostereier ansteuernswert. Leider wirkt der Verkaufsraum mit seinen in reintönigem Art-Deco schwingenden Glasvitrinen und Theken aus Vogelaugen-Ahorn doch ein wenig ungepflegt. Das wiederum vereinigt ihn mit der ganzen Straße.

Blumen-Koch, Westfälische Str. 38, Tel. 896 69 00, www.blumen-koch.de

Erich Hamann - Bittere Schokoladen, Brandenburgische Str. 17, Tel. 873 20 85

Fleischerei Bünger, Westfälische Str. 53, Tel. 891 64 32

Krohn. Die ganze Welt der Früchte, Westfälische Str. 52, Tel. 891 12 42

La Vinotheque du Sommelier, Westfälische Str. 55, Tel. 89 09 58 06

Markt pur, Westfälische Str. 27, Tel. 89408789. www.marktpur.de

Reimelts Spezialreinigung, Wilmersdorf, Cicerostr. 49, Tel. 8915894

Salumeria Puglia, Westfälische Str. 52, Tel. 893 39 70

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